Honor Harrington 12. Die Raumkadettin von Sphinx
Übereinstimmung zu bringen. Cathy hatte selbst keine Kinder; daher versuchte sie, sich einen Moment lang vorzustellen, welche Wut wohl in Anton brodelte. Als Witwer eine vierjährige Tochter großzuziehen, nachdem man selbst gemäß der unbeugsamen Regeln eines Hochlandclans erzogen worden war …
Für einen Moment erblickte sie die wallende Leere in ihm – ähnlich dem Ereignishorizont eines Schwarzen Loches –, und ihr Geist schreckte davor zurück.
»Es tut mir Leid«, wiederholte Anton sehr leise, »aber mir bleibt nichts anderes übrig.« Er brachte ein raues Kichern zustande. »In solchen Dingen gibt die Tradition den Ton an, wissen Sie. Es gibt einen Begriff für das, was ich brauche. Ist schon Jahrhunderte alt – Jahrtausende. Er lautet Schmutzarbeit.«
Cathy schnitt eine Grimasse. »Wie ungehobelt!« Wieder seufzte sie. »Aber passend, möchte ich meinen. Gewiss stimmt Jeremy Ihnen da zu.«
Sie seufzte ein weiteres Mal. »Also schön, ich bringe Sie mit ihm in Kontakt. Ich warne Sie aber im Voraus, Anton, er hat einen eigentümlichen Sinn für Humor.«
Erneut hielt Anton die Disk hoch. »Vielleicht stachelt das hier sein Interesse an.«
Cathy musterte den Datenträger. Ein harmlos aussehendes Ding, wirklich. Doch sie wusste nur zu gut, was geschähe, sobald Jeremy es in die Finger bekäme. Jeremy hatte auf Mesa das Licht des Universums erblickt, in einer Zuchtkammer von Manpower Unlimited. K-86b/273-1/5, so hatte man ihn getauft. Das »K« bezog sich auf den zugrunde liegenden Genotyp – Jeremy beispielsweise war als persönlicher Diener gezüchtet worden, während Isaacs »V« eines der Kampfmodelle bezeichnete. Das »86b« stand für eine der vielen geringfügigen Abwandlungen vom generellen Archetyp. Jeremy gehörte zum Beispiel einer Variante an, die ihre Kunden mit akrobatischen Einlagen unterhalten sollte – Jongleure und dergleichen. Im Wesentlichen nichts anderes als Hofnarren. Die Zahl 273 bezog sich auf den »Zuchtsatz«, und das »1/5« bedeutete, dass Jeremy das erste von den fünf Exemplaren seines Satzes war, das aus der Zuchtkammer geholt wurde. Cathy strich sich mit der Hand über das Gesicht, als wolle sie sich einen imaginären Schmutz von der Haut wischen. Ihr war klar, dass die »wissenschaftliche« Terminologie Manpowers nur ein gentechnisches Verfahren verbrämte, das beinahe ebenso sehr Schwindel war wie verderbt. Die Methodik stellte das moderne Äquivalent der grotesken medizinischen Experimente dar, die die Nazis aus den alten Märchen angeblich durchgeführt hatten. Cathy hatte nicht Biologie studiert, war während ihres langen Kampfes gegen die Gensklaverei jedoch zu einer Laienexpertin auf diesem Gebiet avanciert. Die Gene waren im Allgemeinen weit veränderlicher, als die meisten Leute annahmen. Die spezifische Art, in der sich ein Genotyp entwickelte, wurde zu jedem gegebenen Zeitpunkt der Entwicklung ebenso sehr durch äußeren Einfluss wie durch die inhärenten genetischen »Instruktionen« bestimmt. Gene reagierten unterschiedlich, je nach Art des äußeren Einflusses.
Manpowers Gentechniker wussten das natürlich ganz genau – auch wenn es in ihren Werbespots immer hieß, man könne sich darauf verlassen, ihre »vertraglich gebundenen Dienstkräfte« würden sich genau so verhalten wie programmiert. Daher versuchte Manpower die »richtige Umgebung« für die Entwicklung von Genotypen zu schaffen. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn ein interessierter Käufer mit hohen biologischen Ansprüchen das Unternehmen auf das Thema festnagelte, antwortete Manpower mit der einstudierten und fachbegrifflastigen Erklärung dessen, was sie den »phänotypischen Entwicklungsprozess« nannten.
Ließ man die pseudowissenschaftlichen Phrasen weg, belief sich ihre Aussage auf folgendes: Wir züchten Embryos in künstlichen Gebärmuttern, wobei wir anhand der DNA so viel wie möglich über ihre Anlagen vorherzusagen versuchen; dann verbringen wir Jahre damit, den Kindern die ›korrekte Ausrichtung‹ zu verpassen, wobei wir ebenfalls so gut zu raten versuchen wie möglich.
Und innerhalb gewisser Grenzen funktionierte das auch – für gewöhnlich. Aber nicht unbedingt immer. Ganz sicher nicht im Fall von Jeremy. Weniger als eine Woche nach seinem Verkauf gelang ihm die Flucht. Am Ende seiner Irrfahrt kam er nach Terra, auf einer der Routen, die von der Anti-Sklaverei-Liga unterhalten wurden. Noch am Tag seiner Ankunft trat er dem Audubon Ballroom bei, der vermutlich
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