Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
– weswegen er drei Jahre in einem Gefängnis der Inneren Abwehr gesessen hatte, aus dem er erst nach Rob Pierres Sturz der Regierung befreit worden war – hatte er dem neuen Zeitalter mit Begeisterung entgegengesehen.
Genügend Begeisterung, um sich freiwillig zur Systemsicherheit zu melden. Er lachte trocken auf, als er sich an die Schwierigkeiten erinnerte, die ein unverbesserlicher Dissident Mitte vierzig auf der neu eingerichteten SyS-Akademie bekommen hatte, umgeben von Kadetten, von denen die meisten feurige junge Eiferer waren wie Victor Cachat.
Victor Cachat. Was für ein Mensch. Radamacher versuchte sich zu erklären, wie ein so junger Mann derart selbstsicher sein konnte, derart überzeugt von seiner Rechtschaffenheit.
Derart, dass Cachat keinen Tag gebraucht hatte, um sowohl die Raumoffiziere eines kompletten Kampfverbands als auch die Offiziere zweier SyS-Superdreadnoughts ausnahmslos einzuschüchtern.
War Yuri jemals selbst so gewesen? Er bezweifelte es – selbst in seiner rebellischen Jugend nicht. Daran allerdings konnte er sich nicht mehr erinnern. Die Jahre nach Pierres Staatsstreich, in denen er langsam begriff, welcher Schrecken und welche Brutalität sich hinter der glanzvollen Fassade des neuen Regimes verbargen, hatten seinen Idealismus zum Großteil aufgezehrt. Schon lange versuchte Yuri nur noch zu überleben – und sich, so weit es möglich war, mit den Herausforderungen abzulenken, die seine Abkommandierung in den La-Martine-Sektor mit sich brachte. Andere, ehrgeizigere SyS-Offiziere wären frustriert gewesen, so lange in der, was die Karriere betraf, politischen Provinz stationiert zu werden. Für Yuri indes war La Martine ein Refugium gewesen, vor allem, nachdem er in den beiden Flottenoffizieren, mit denen er am engsten zusammenarbeiten musste, verwandte Seelen entdeckt hatte. Und allmählich hatte La Martine begonnen, andere, gleichgesinnte SyS-Offiziere anzuziehen und zu behalten.
Und sie hatten im La-Martine-Sektor gute Arbeit geleistet, verdammt! Yuri hatte dabei Befriedigung gefunden. Für ihn war es eine Möglichkeit – vielleicht die einzige – gewesen, um zu retten, was von seinem jugendlichen Elan noch übrig war. Ob das Komitee für Öffentliche Sicherheit es zu schätzen wusste oder nicht, Chin, Ogilve und er hatten La Martine zu einem Quell der Stärke für die Volksrepublik gemacht. Trotz seiner Abgelegenheit war La Martine in den letzten Jahren ununterbrochen einer der sechs wirtschaftlich produktivsten Sektoren der Volksrepublik Haven gewesen.
Er wischte sich das Gesicht ab. Na und? Radamacher wusste nur zu gut, dass für Saint-Just und seinesgleichen Tüchtigkeit eine Feder war, aufgewogen gegen den Felsblock der politischen Verlässlichkeit.
Victor Cachat. Die Entscheidung läge nun bei ihm. Die Macht eines SyS-Sonderermittlers war, besonders in einem fernen provinziellen Sektor wie La Martine, so gut wie unbegrenzt. Der Einzige, der Cachat hätte zügeln können, wäre Robert Jamka gewesen, der ranghöchste Volkskommissar im Sektor.
Aber Jamka war tot, und Saint-Just hatte es gewiss nicht eilig, einen Nachfolger zu bestimmen. Für Saint-Just besaß La Martine keine besonders hohe Priorität, denn es lag weit abseits der Hauptkampfgebiete. Solange Saint-Just überzeugt war, dass Cachat die Untersuchung mit ausreichendem Eifer und genügender Härte vorantrieb, ließ er dem jungen Irren freie Hand.
An dem Gedanken, dass ausgerechnet Robert Jamka jemand anderen zügelte, war etwas herrlich Absurdes. Jamka war ein Sadist und sexuell abartig gewesen. Genauso gut hätte man Beelzebub bitten können, er möge doch Belial an die Kandare nehmen.
Und während der Tag voranschritt, versank Yuri Radamacher immer tiefer in Mutlosigkeit. Nachdem er sich endlich ins Bett geschleppt hatte und einzuschlafen versuchte, beschäftigte ihn nur noch die Frage, ob Cachat ihm den ehrenhaften Ausweg des Selbstmords vor der Exekution anbieten würde.
Aber das würde natürlich nicht geschehen. Diese Tradition stammte vom Amt für Innere Abwehr des legislaturistischen Regimes und war ein Teil der ›elitären Privilegien‹, welche die Systemsicherheit und ihre Schergen seit Jahren auszurotten versuchten. Und Männer wie Victor Cachat erst recht. Cachats Aussprache war perfekt, doch Yuri war es nicht schwer gefallen, die Spuren eines Dolistenakzents in seiner Redeweise zu entdecken: ein Mann aus der untersten Schicht der havenitischen Gesellschaft, der nun an die Macht gelangt
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