Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
weise ich sie zurück.
Offen gesagt sind mir Ihre Ansichten gleichgültig. Als ich der Systemsicherheit beitrat, habe ich einen Eid abgelegt, mein Leben in den Dienst der Volksrepublik zu stellen. Mit diesem Eid war es mir ernst, und nicht ein einziges Mal bin ich in dieser Überzeugung schwankend geworden. Was immer ich getan habe, habe ich nach meinen Möglichkeiten und meiner Einschätzung der Situation im besten Interesse der Menschen der Volksrepublik getan, auf die ich meinen Eid abgelegt habe. Ich darf Sie erinnern, dass wir den Diensteid der Systemsicherheit den Menschen schwören. Weder Oscar Saint-Just noch eine andere Einzelperson kommt darin vor.« Die breiten Schultern zuckten erneut. »Oscar Saint-Just ist tot, aber die Volksrepublik lebt weiter. Ganz gewiss bleiben ihre Menschen. Deshalb bindet mein Eid mich weiterhin, und unter den gegebenen Umständen erscheint es mir ganz eindeutig, wo meine Pflicht liegt.«
Er blickte Yuri direkt an, und ein schmales Lächeln trat in sein Gesicht. »Sie sind sehr gut bei dem, was Sie tun, Volkskommissar Radamacher. Das wusste ich vorher, deshalb habe ich Sie hier zurückgelassen. Allerdings sind Sie, wenn Sie mir die Worte vergeben, nicht unbarmherzig genug. Barmherzigkeit ist ein netter Charakterzug, für einen Volkskommissar allerdings eher hinderlich. Nach wie vor schrecken Sie vor dem Schlussstein zurück, den Sie benötigen, um Ihr hübsches kleines Gefüge zu vollenden.«
Yuri runzelte die Stirn. »Wovon reden Sie da?«
»Ich dachte, das wäre offensichtlich. Volkskommissarin Justice begreift es jedenfalls. Wenn Sie ein altes Regime beerdigen wollen, Volkskommissar, dann müssen Sie eine Leiche beerdigen. Es genügt einfach nicht, die Leiche als verschwunden zu erklären. Wer weiß, wo und wann eine verschwundene Leiche wieder auftaucht?«
»Was …« Yuri schüttelte den Kopf. Der Fanatiker faselte unsinniges Zeug.
Cachats gewohnte Ungeduld kehrte zurück. »Ach, bei allem, was heilig ist oder auch nicht! Wenn die Mäuse der Katze keine Schelle umhängen wollen, dann muss die Katze es wohl selbst in die Pfote nehmen.«
Cachat wandte sich Sharon zu. »Am liebsten würde ich mich in Ihren Gewahrsam begeben, Volkskommissarin Justice, doch in Anbetracht der Lage an Bord der Tilden , die im Augenblick wohl höchst fragil ist, halte ich für das Beste, wenn ich an Bord der Hector unter Volkskommissar Radamacher in Haft sitze. Ich denke, wir sollten Admiral Chin zum verhaftenden Offizier bestimmen. Allerdings gehen wir damit das Risiko von Animositäten zwischen Volksflotte und SyS ein, und das ist so ziemlich das Letzte, was der La-Martine-Sektor im Augenblick gebrauchen kann.«
Sharon lachte leise. »Vielleicht lässt Yuri Sie erschießen.«
»Das bezweifle ich. Volkskommissar Radamacher ist eigentlich nicht der Typ dafür. Außerdem war mein Bezug auf eine ›Leiche‹ lediglich dichterische Freiheit. Ich denke, es sollte genügen, den sichtbarsten Repräsentanten des Saint-Just-Regimes im La-Martine-Sektor hinter Schloss und Riegel zu haben.« Erneut das angedeutete Achselzucken. »Und wenn Volkskommissar Radamacher sich genötigt sehen sollte, mich streng vernehmen zu lassen, so werde ich es ihm nicht vorwerfen.«
Einen Moment lang schienen die dunklen Augen aufzuleuchten. »Ich bin schon verprügelt worden. Einmal ziemlich übel. Zufälligerweise kam es dazu, damit ein Kamerad und ich von dem Feind übersehen wurden, der gegen uns konspirierte. Um unser beider Tarnexistenzen zu schützen, täuschten wir einen wütenden Streit vor, und er hat mich krankenhausreif geschlagen. Ich habe tatsächlich einige Tage im Lazarett gelegen – der Mann hatte schinkengroße Fäuste, größer als die des Sergeants dort –, aber unser Plan hat prächtig funktioniert.«
Yuri schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen.
»Also noch einmal ganz langsam …«
Kapitel 11
»Warum«, knurrte Yuri, während er an die Decke seiner Kajüte blickte, »fühle ich mich wie der arme Kerl, der auf St. Helena Napoleon bewachen musste?«
Sharon senkte ihr Buch und hob den Kopf von dem Kopikissen neben ihm. »Wer ist Napoleon? Und von einem Planeten namens St. Helena habe ich auch noch nie gehört.«
Yuri seufzte. Trotz all ihrer wunderbaren Eigenschaften – die er während des vergangenen Monats enorm genossen hatte – teilte Sharon seine Leidenschaft für Geschichte und klassische Literatur nicht.
Cachat eigenartigerweise schon – zumindest
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