Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
einige Aspekte der historischen Kulturen faszinierten ihn –, und auch das hatte Yuri in sein geistiges schwarzes Buch eingetragen. Dem Buch mit dem Titel: Weshalb ich Victor Cachat hasse.
Ihm war das Kindische an seinem Verhalten klar, doch in den Wochen, seit er Cachat verhaftet hatte, war sein Zorn auf den Mann immer größer geworden. Dass dieser Zorn – hier war Yuri sich selbst gegenüber ehrlich – eher von Cachats Tugenden herrührte als von dessen Lastern, schien nur noch weiter Öl in die Flammen zu gießen.
Das grundlegende Problem war, dass Cachat keine Laster hatte – außer eben Victor Cachat zu sein. In Gefangenschaft wie im Besitz der Befehlsgewalt stellte der junge Fanatiker sich allem resolut, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne die geringste Spur irgendwelcher Selbstzweifel oder Ängste, wie sie Yuri sein ganzes Leben lang geplagt hatten. Cachat erhob niemals die Stimme im Zorn; niemals wich er ängstlich zurück; er jammerte nicht, beklagte sich nicht, bat nicht.
Hin und wieder malte sich Yuri aus, wie Victor Cachat vor ihm kniete und ihn um Gnade anflehte. Selbst für Yuri waren diese Fantasiebilder ausgewaschen und farblos – und sie verschwanden in Sekundenschnelle. Eine Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dass Cachat um irgendetwas bettelte. Da konnte man sich gleich einen Tyrannosaurus vorstellen, der heulend auf den Knien lag.
Es war einfach nicht fair, verdammt noch mal. Dass sich Cachat in den Wochen seiner Gefangenschaft als begeisterter Anhänger der vergessenen alten Kunstform, die man Film nannte, entpuppt hatte, war Yuri als schlimmste Verfehlung von allen vorgekommen. Wilde Fleischfresser aus dem Mesozoikum hatten gefälligst nicht zu höheren Empfindungen fähig zu sein.
Und ganz bestimmt sollte es ihnen verboten sein, mit menschlichen Wesen über Kunst zu diskutieren! Was Cachat, unnötig zu sagen, getan hatte. Und ebenso überflüssig anzumerken ist, dass er die Gelegenheit genutzt hatte, Yuri wegen Nachlässigkeit zu schelten.
Das war in der ersten Woche geschehen.
»Unsinn«, fuhr Cachat ihn an. »Jean Renoir ist der am meisten überschätzte Regisseur, der mir einfällt. Die Spielregel – angebliche eine brillante Analyse der Mentalität der Elite? Lächerlich. Wenn Renoir versucht, die Gefühllosigkeit der Oberschicht darzustellen, fällt ihm nichts Besseres ein als eine alberne Hasenjagd?«
Yuri funkelte ihn an, und Major Bürger tat es ihm gleich, die dritte in der kleinen Gruppe an Bord der Hector , die sich als Filmkenner entpuppt hatte und zu dem Kreis gehörte, der in Cachats Zelle formlose Gespräche zum Thema führte.
Nun, formaljuristisch galt sie als ›Zelle‹, obwohl sie eigentlich die frühere Kammer eines Lieutenants au Bord des Superdreadnoughts war. Ebenso formaljuristisch war sie ›verschlossen‹, und vor der Luke stand immer ein ›Posten‹ Wache.
›Formaljuristisch‹ war genau das treffende Wort dafür. Yuri bezweifelte nicht, dass Cachat das simple Schloss innerhalb von zehn Sekunden hätte knacken können. Ebenso machte er sich keine Illusionen, was die Posten betraf: neun von zehn der Menschen, die an der Luke Wache standen, hätten den früheren Sonderermittler eher gefragt, wie sie ihm helfen könnten, anstatt ihn aufzufordern, in seine Zelle zurückzukehren.
Bitter erinnerte sich Yuri an die Verhaftungsszene.
›Verhaftung‹. Pah! Es war mehr eine zeremonielle Prozession gewesen. Cachat schwang sich aus der Andockröhre, gefolgt von einer Eskorte aus Leuten des Kampfverbands – während Major Lafittes Marines und Major Bürgers SyS-Leute sich aufgereiht hatten, um ihn zu empfangen.
Theoretisch hatten sie Cachat in Gewahrsam nehmen sollen. Kaum jedoch hatte sich Cachat über die Linie auf dem Deck geschwungen, welche die legale Grenze des Superdreadnoughts darstellte, als die Marines Haltung annahmen und die Gewehre präsentierten. Major Bürgers SyS-Leute auf der anderen Seite hatten sich nach einer Sekunde ihrem Beispiel angeschlossen.
Yuri war erstaunt gewesen, weil er dieses Zeremoniell ganz gewiss nicht angeordnet hatte. Er gab allerdings auch keinen Gegenbefehl – nicht, nachdem er die harten Mienen der Marines und SyS-Leute betrachtet hatte.
Er hatte nie begriffen, wie Cachat es anstellte, aber irgendwie …
So, stellte er sich vor, hatte die Alte Garde stets in Gegenwart Napoleons reagiert. Wirklichkeit, Logik, Gerechtigkeit – zum Teufel damit. In Sieg oder Niederlage, der Kaiser
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