Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
Friedenszeiten oder im Krieg, es sei völlig unmöglich, eine Besatzung zu gut zu schulen.
Dass Oversteegen ein Talent für geschickte – man konnte sogar sagen: für hinterlistige – taktische Manöver besaß, machte für Abigail auf verdrehte Weise alles nur noch schlimmer. Sie stellte fest, dass sie das taktische Repertoire des Kommandanten sehr achtete, und sie wusste, dass es Commander Blumenthal genauso ging. Lieutenant Commander Abbott hingegen gehörte nicht zu den großen Bewunderern des Captains. Als Offizier war er zu tüchtig, um es je auszusprechen, schon gar nicht in Hörweite einer Raumkadettin, doch ihr kam es vor, als grolle der Offiziersanwärter-Ausbildungsoffizier dem Zufall der Geburt, durch den Oversteegen das Kommando über die Gauntlet erlangt hatte. Dass Abbott wenigstens fünf T-Jahre älter war als Oversteegen und dennoch zwei Rangstufen unter ihm stand, trug gewiss zu einem nicht kleinen Teil zu seiner Abneigung bei. Doch wie immer er empfand, niemand hätte dem Zwoten Taktischen Offizier sein Verhalten im Dienst oder mangelnden Sinn für Einzelheiten vorwerfen können.
In seinem Verhältnis zum Kommandanten fand sich eine unleugbare Steifheit und Förmlichkeit, doch das galt für etliche Crewmitglieder der Gauntlet . Nach der ersten Woche hätte kein einziges Besatzungsmitglied Captain Oversteegens Tüchtigkeit und Kompetenz noch angezweifelt, doch deswegen schloss seine Crew ihn noch lange nicht ins Herz. Welche anderen Talente er auch noch besaß, das besondere Charisma, das eine Lady Harrington so mühelos verbreitete, besaß er nicht und würde er vermutlich auch nie erwerben.
Wahrscheinlich lag das auch daran – zu diesem Schluss war Abigail gekommen –, dass er kein besonderes Interesse hatte, solches Charisma zu erwerben. Schließlich und endlich hatte die natürliche Ordnung im Universum ihn unausweichlich an seine jetzige Stelle gerückt. Seine außer Frage stehende Kompetenz war nichts weiter als der einfache Beweis, dass das Universum damit eine weise Entscheidung getroffen hatte. Und da es sowohl natürlich als auch unausweichlich war, dass er den Befehl führte, war es gleichermaßen natürlich und unausweichlich, dass andere ihm gehorchten. Warum also sollte er die Leute durch eine gewinnende Persönlichkeit zu etwas bewegen, das zu tun von vornherein ihre natürliche Pflicht war?
Kurz gesagt, Michael Oversteegen besaß nicht das Wesen, mit dem sich ein Offizier automatisch die Ergebenheit seiner Untergebenen erwirbt. Tüchtigkeit billigten und Gehorsam gestanden die Leute ihm zu, aber ergeben waren sie ihm nicht.
Arpad Grigovakis hingegen schien das Deck küssen zu wollen, auf dem der Captain wandelte. Abigail konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, woran das lag, doch sie hatte ihre Vermutungen. Grigovakis konnte schließlich selbst kaum als Herzensbrecher bezeichnet werden. Obwohl seine Herkunft bei weitem nicht so erlaucht war wie die des Kommandanten, gehörte er zu den oberen Schichten der manticoranischen Gesellschaft und strebte nicht allzu heimlich nach aristokratischer Macht und adligen Vorrechten. Wahrscheinlich, dachte Abigail, fand Grigovakis in Oversteegen ein weitaus angenehmeres Vorbild als in einem Menschen wie einer Lady Harrington, ganz egal, wie sehr er die taktische Brillanz der Gutsherrin auch anerkannte und bewunderte.
Zu Captain Oversteegens Verteidigung musste Abigail eingestehen, niemals erlebt zu haben, dass der Kommandant Grigovakis' offenkundigen Wunsch, seinen Stil nachzuahmen, auch nur in geringster Weise ermutigt hatte. Freilich hatte er es sich auch nicht von dem Midshipman verbeten, doch das wäre wohl bei jedem Captain einfach zu viel erwartet gewesen.
»Bandit Zwo hat den Köder geschluckt und folgt dem Täuschkörper, Sir!« Die Stimme gehörte Shobhana, und sie klang ruhiger, als sie Abigails Vermutung nach war. Fünfzehn Minuten nach Beginn der augenblicklichen Übung hatte Captain Oversteegen beschlossen, dass Commander Blumenthal schwer verwundet worden sei, und Shobhana war an der Reihe gewesen, als Blumenthals Stellvertreter zu fungieren, während Abigail die zweite Besetzung für Abbott in Commander Watsons taktischer Ersatzcrew spielte. Was zur Folge hatte, dachte Abigail ein wenig eifersüchtig, dass ihre Klassenkameradin im Augenblick die gesamte Bewaffnung eines 425.000 Tonnen massenden Schweren Kreuzers zur Verfügung hatte, wenn auch nur bei einer Übung … Abigail aber nicht.
»Sehr gut, Taktik«, entgegnete
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