Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
ersten verfügbaren Sprechtermin.
Tag Tilson winkte ihr träge zu, als er den Besprechungsraum des Kommandanten verließ, und Carlie fragte sich einen Augenblick lang, ob der Signaloffizier vielleicht auch wegen Michael Winton zugegen sei. Dann wurde sie vom Kommandanten hereingerufen.
»Ja, Lieutenant?« Abelard Boniece wirkte belustigt, als er sie in einen Sessel winkte. »Bei Ihrem Anruf sagten Sie, Sie müssten mich wegen Mr Winton sprechen. Ich habe die Nachricht gelesen, die Sie mir in Kopie weitergeleitet hatten. Sie können von da ab fortfahren.«
Wenn der Kommandant ernst oder sogar ärgerlich gewirkt hätte, wäre Carlie nicht so verunsichert gewesen wie über das Funkeln in seinen Augen. Sie setzte sich gerade und versuchte zu berichten, als seien sie mitten im Gefecht.
»Jawohl, Sir. Offen gesagt weiß ich nicht, was ich tun soll. Mr Winton ist auf Kadettenfahrt. Ich habe den Eindruck, dass die Ablenkung durch das Diplomatspielen ihm nicht gut tut.«
Commander Boniece zog nur eine Braue hoch, und Carlie beeilte sich zu erklären:
»Ich wusste von Anfang an, dass Mr Winton diesen Ablenkungen ausgesetzt sein würde, Sir. Dennoch waren sie bis jetzt immer seinen Bordpflichten nachgeordnet. Mr Lawler verlangt jedoch im Grunde, dass wir ihnen Vorrang einräumen.«
»Genau das ist der Punkt«, stimmte Commander Boniece ihr zu. »Sein Ersuchen überschreitet aber nichts, womit wir nicht von dem Augenblick an rechnen mussten, zu dem die Intransigent nach Masada beordert wurde.«
»Wahrscheinlich nicht, Sir«, räumte Carlie widerwillig ein.
Commander Boniece blickte sie unverwandt an, und jede Andeutung von Heiterkeit war aus seinem Gesicht verjagt.
»Sind Sie unzufrieden mit Mr Wintons Führung, Lieutenant?«
»Eigentlich nicht, Skipper. Seine Pflichten erledigt er, aber er scheint anders zu sein als die anderen Middys.«
»Vielleicht liegt das daran«, entgegnete Boniece, »dass Mr Winton anders ist als jeder andere Kakerlak – auf der Intransigent und auf jedem anderen Schiff Ihrer Majestät Navy.«
Carlie riss die Augen auf. Den Begriff Kakerlak wandte man offen und manchmal geradezu als Kosename auf Raumkadetten an, doch soweit sie sich erinnern konnte, war dies das erste Mal, dass ein Midshipman der Intransigent damit belegt wurde.
Commander Boniece schien anzunehmen, sie habe ihn verstanden, denn sein Lächeln kehrte flüchtig zurück, bevor er seinen Gedankengang weiter verfolgte.
»Während Sie Mr Winton beobachtet haben«, sagte er, »habe ich Sie beobachtet, Lieutenant. Mir will es vorkommen, als würden Sie versuchen, Michael Winton mit Gewalt zu einem Midshipman wie jeder andere zu machen. Was Sie nun begreifen müssen ist, dass Michael Winton niemals wie jeder andere sein wird, und wenn er hundert Jahre in der Navy dient. Selbst wenn die Queen zwanzig Kinder zur Welt bringt, ist und bleibt er doch ihr einziger Bruder. Sie werden das akzeptieren und sich danach richten. Das ist ein Befehl.«
»Jawohl, Captain.«
Er klang so scharf, dass Carlie sich anschickte aufzustehen und zu salutieren, weil sie glaubte, abtreten zu können, doch Commander Boniece bedeutete ihr, ruhig zu bleiben.
»Denken Sie bitte auch über Folgendes nach, Carlie«, sagte er. »Nicht nur Mr Winton ist anders als jeder, mit dem er dient – jedes Mitglied unserer Crew unterscheidet sich von allen anderen.«
Carlie blinzelte ihn an, zu erstaunt, um auch nur ein routinemäßiges ›Jawohl, Sir‹ hervorzubringen.
»Haben Sie sich je gewundert, Lieutenant Dunsinane«, fuhr Boniece fort, »weshalb der Zwote Taktische Offizier das Kommando über die Kadettenkammer bekommt? Was hat schließlich etwa ein Dutzend Kakerlaken damit zu tun, einen Angriff oder eine Verteidigung zu planen, und zu entscheiden, ob man das Schiff rollt oder aus allen Rohren feuert?«
»Jawohl, Skipper«, sagte Carlie zu verwirrt, um ihm auszuweichen. »Wenn ich ehrlich bin, habe ich das getan.«
»Taktik«, fuhr Boniece fort, »ist der Weg, der am direktesten zum eigenen Kommando führt, und ein Kommandant muss erlernen, mit dem wichtigsten Kapital umzugehen, über das ein Schiff verfügt – die Besatzung. Im Gegensatz zu Graserlafetten und Raketenwerfern wird eine Crew nicht mit einem hübschen Handbuch ausgeliefert, in der Sie Grenzen und Vorzüge nachlesen können. Besatzungen sind unberechenbar, lästig, überraschend und erstaunlich.«
Carlie, die allmählich begriff, worauf er hinauswollte, kam sich vor wie eine Vollidiotin. Es sah
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