Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
entscheidenden Auswahlkriterien bei der Zusammenstellung dieser Gruppe gewesen und nicht sosehr die Befähigung; vielleicht wirkte sie deshalb so merkwürdig. Außerdem sah ein großer Teil des manticoranischen diplomatischen Korps nicht die Vorbereitung auf einen Krieg, sondern die Bewahrung des Friedens als seine wichtigste Aufgabe an. Die Energie vieler der besten und klügsten Köpfe im diplomatischen Dienst richtete sich auf die Suche nach Möglichkeiten der Koexistenz mit den Haveniten. Die masadanische Mission war gewiss kein Auftrag, für den sich jemand von ihnen freiwillig gemeldet hätte.
Eventuell bestimmte auch der Umstand, dass Masada als potenzieller Verbündeter in seiner Region nicht die erste Wahl der Königin war, die Zusammenstellung der Delegation: die Diplomaten, die wie Sir Anthony Langtry mehr wie Ihre Majestät dachten und einzuräumen bereit waren, dass sich ein Krieg gegen Haven womöglich tatsächlich nicht vermeiden ließ, legten es eher darauf an, die Graysons auf die manticoranische Seite zu ziehen.
Die Männer, die sich für die masadanische Mission gemeldet hatten, waren eifrig bestrebt, sich zu beweisen – und bewiesen hätten sie sich, wenn sie die frauenfeindlichen und egozentrischen Wahren Gläubigen zu einer Allianz bewegen konnten.
Forbes Lawler, ein Prolong-Empfänger der ersten Generation und ehemaliger Unterhausabgeordneter, war der Leiter der Gruppe. Gutaussehend mit seinem eisengrauen Haar und seinem schlanken, athletischen Körperbau, hatte Lawler eine freimütige Art und saftige Ausdrucksweise, die Michael an seinen ersten Sportlehrer erinnerten. Obwohl Lawler es niemals offen aussprach, hoffte er eindeutig, nicht nur der Überbringer neuer Anweisungen zu sein, sondern auch recht bald den augenblicklichen Botschafter zu ersetzen.
Quentin Cayen diente Lawler als persönlicher Assistent. Er war so jung, dass er schon die Prolong-Behandlung zweiter Generation erhalten hatte, aber er färbte sich das Haar an den Schläfen silbergrau und setzte zum Lesen eine Brille auf, ein Versuch, seinen eher jungenhaft formlosen Zügen eine gewisse Abgeklärtheit zu verleihen. Michael fand, fass Cayen recht töricht wirkte, doch weil der junge Diplomat andererseits recht fähig und dienstbeflissen war, ohne aufdringlich zu sein, bemühte der Midshipman sich, seine kosmetischen Gimmicks zu übersehen.
Das letzte Mitglied der Delegation, John Hill, war vorgeblich ein Computerfachmann. Er kannte sich mit den Masadanern sehr gut aus und war sowohl mit den religiösen Ritualen der Wahren Gläubigen als auch ihren Speiseverboten vertraut. Hill gehörte eindeutig dem Geheimdienst an, doch hielt es Michael für gut möglich, dass er in ihm das tüchtigste Mitglied des Trios vor sich hatte.
An dem Tag, an dem die Intransigent das Endicott-System erreichte, arbeitete Michael in der beinahe leeren Kadettenkammer, als er eine Nachricht von Lawler erhielt, in der er um die Teilnahme an einer letzten Planungssitzung gebeten wurde. Da Michael noch sehr viel Hausaufgaben zu erledigen hatte – sie bedeuteten hier zwar anderes, aber sie kamen ihm dennoch so vor –, war er darüber nicht sonderlich erfreut. Er kannte jedoch seine Pflicht und legte widerstrebend die Simulation einer Fusionsreaktorreparatur beiseite, die ihm der Leitende Ingenieur persönlich aufgetragen hatte.
Lady Astrid legte ihr Lesegerät weg. »Wohin gehst du, Michael?«, fragte sie, offensichtlich bereit, ihn zu begleiten.
»Mr Lawler ruft mich«, entgegnete Michael.
»Oh«, sagte Lady Astrid enttäuscht und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Michael, der schon seit Tagen den vagen Eindruck hatte, Lady Astrid suche nach einer Gelegenheit, mit ihm allein zu sein, sah, wie Sally Pike verächtlich grinste, und fühlte sich in seinem Verdacht bestätigt. Erleichtert nahm er sich ein paar Sachen, winkte flüchtig zum Abschied und verließ die Abteilung, bevor Ozzie oder eine andere Klette einen Vorwand fand, um ihn zur Kajüte der Diplomaten zu begleiten.
Als Michael eintraf, schritt Lawler auf und ab, kaum fähig, seine Aufregung zu verbergen.
»Soeben haben wir eine Nachricht von der Brücke erhalten, Königliche Hoheit«, sagte er und drückte Michael einen Ausdruck in die Hand. »Wenigstens ein havenitisches Schiff ist im System.«
»Unterhält die Volksrepublik hier nicht eine diplomatische Vertretung, genau wie wir?«, entgegnete Michael.
»Das ist richtig«, sagte Lawler. »Nur ist eine Vertretung
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