Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
nicht besser wüsste, hätte ich gedacht, Sie wollten mir wirklich wehtun!«
»Danke … glaube ich, Sir«, sagte sie, nachdem sie den eigenen Mundschutz entfernt hatte. Tatsächlich war sie sich nicht sicher, wie sie seinen Nachsatz auffassen sollte. Trotz ihrer natürlichen Sportlichkeit war der unbewaffnete Kampf auf Saganami Island für sie der schwierigste Kurs gewesen. Die Übungskatas hatten ihr gefallen, und auch die Art, wie das Training ihre Reflexe und ihr Koordinationsvermögen schärften. Dennoch hatte sie Probleme – ernste Probleme –, sobald es an der Zeit war, die Lektionen anzuwenden.
Den Grund herauszufinden war ihr nicht schwer gefallen, das Problem zu beheben hatte sie indessen einige Mühe gekostet.
Graysonitische Mädchen wuchsen in einer Kultur auf, in der körperliche Auseinandersetzungen undenkbar waren. Im Gegensatz zu Jungen (die jeder als laut, ungebärdig und allgemein ungezogen kannte) kämpften wohlerzogene Mädchen einfach nicht. Graysonmädchen und -frauen wurden von eben diesen ungebärdigen Jungen und Männern beschützt und hatten sich nicht durch Primitivitäten wie Handgreiflichkeiten herabzuwürdigen!
Dieses kulturelle Gebot gehörte seit fast tausend T-Jahren zur graysonitischen Gesellschaft, und Abigail war sich seiner auf verstandesmäßiger Ebene schon lange vor ihrem Eintritt in die manticoranische Flottenakademie bewusst gewesen. Sie hatte geglaubt, sie sei darauf vorbereitet, es zu überwinden, doch leider hatte sie sich geirrt: Trotz der Entschlossenheit, mit der sie den väterlichen Widerstand gegen ihre Entscheidung zermürbte, die Laufbahn eines Raumoffiziers einzuschlagen, blieb sie ein Kind ihrer Welt. Sie hatte nichts gegen den Schweiß, die Anstrengung, die blauen Flecke oder sogar gegen die Entwürdigung, wenn sie vor Dutzenden von Zuschauern auf ihren hochadligen Allerwertesten geworfen wurde. Doch der schiere Gedanke, jemanden tatsächlich und vorsätzlich mit ihren beiden bloßen Händen anzugreifen, und sei es nur zum Training, setzte ihr weitaus stärker zu, als sie je gedacht hätte. Zu ihrem Verdruss und ihrer Demütigung war ihr Zögern gegenüber männlichen Sparringspartnern sogar noch größer gewesen.
Sie fand es furchtbar . Sie hatte abgrundschlechte Zensuren erhalten, was schlimm genug gewesen wäre, doch Raumoffizier zu werden, war immer ihr Herzenswunsch gewesen. Seit dem Abend, an dem sie auf einem Balkon von Owens House gestanden und in den Nachthimmel gestarrt hatte, wo stecknadelkopfgroße Blitze atomaren Feuers zwischen den Sternen aufgeflammt waren, während ein einzelnes, fremdes von einer Frau kommandiertes Kriegsschiff zum Schutz von Abigails Welt ein verzweifeltes Gefecht gegen ein anderes, doppelt so großes Schiff führte, seit diesem Abend hatte sie kein anderes Ziel mehr gekannt. Sie hatte gewusst, was sie wollte, mit unnachgiebiger Entschlossenheit dafür gekämpft und am Ende nicht lediglich die widerwillige Erlaubnis ihres Vaters errungen, sondern seine aktive Unterstützung.
Und nun, wo das Offizierspatent ihr zum Greifen nahe war, konnte sie ihre gesellschaftliche Programmierung nicht so weit überwinden, um jemanden auch nur bei einem Übungskampf zu ›hauen‹? Das war doch albern! Vor allem aber schien es jeden Zweifel zu bestätigen, den männliche Graysons je gegen das Konzept von beim Militär dienenden Frauen ins Feld geführt hatten. Zusätzlich hatte sie die Gewissheit gedemütigt, dass sich auch alle Manticoraner, die Graysons für hoffnungslose, lachhafte, geistig umnachtete Barbaren hielten, durch ihr Verhalten in ihren Vorurteilen bestätigt sahen.
Am schlimmsten aber hatten ihr die Selbstzweifel zu schaffen gemacht, die sie deswegen befielen. Wenn sie nicht einmal unbewaffnet kämpfen konnte, wie wollte sie dann je in einem echten Gefecht den taktischen Befehl ausüben? Wie konnte sie darauf vertrauen, dass sie fähig sein würde, den Feuerbefehl zu geben – und zwar rücksichtslos, denn sie wusste, dass das Leben ihrer Untergebenen von ihrer Fähigkeit abhing, die Untergebenen eines anderen Offiziers nicht nur zu verletzen, sondern zu töten –, wenn sie es nicht einmal über sich brachte, ihren Sparringspartner in der Turnhalle auf den Rücken zu werfen?
Sie hatte gewusst, dass sie Hilfe benötigte, und innerlich war sie verzweifelt versucht gewesen, sie bei Lady Harrington zu suchen. Die Gutsherrin hatte allen graysonitischen Middys deutlich gemacht, dass sie bereit sei, ihnen als Mentorin und
Weitere Kostenlose Bücher