Honor Harrington 17. Um jeden Preis
Neurochirurgen des Sternenkönigreichs. Die Sorte Arzt, zu der man die hoffnungslosen Fälle schickt. Wenn er schon zivil praktiziert hätte, als Sie Ihren Unfall erlitten, wäre er vermutlich einer Ihrer Ärzte gewesen. Machen Sie sich überhaupt eine Vorstellung, wie viel Blut wir schon gesehen haben, wie viele zerstörte Leben und zerschmetterte Körper? Zusammen praktizieren wir seit mehr als einem Jahrhundert Medizin, Emily. Wenn im ganzen Sternenkönigreich zwei Menschen sind, die genau wissen, was Sie, Ihre Familie und alle Menschen, denen Sie etwas bedeuten, durchgemacht haben, dann wir.«
Emilys Lippen bebten, und ihre Hand ballte sich unter Allisons Fingern zur Faust. Sie war schockiert – körperlich schockiert – von der plötzlichen Erkenntnis, wie verzweifelt sie Allison ihr Herz ausschütten wollte. Sie hatte einen starken Wunsch entdeckt, sicher zu wissen, dass Allison wirklich begriff, mit welcher Gewalt ihre körperliche Verstümmelung weit mehr vernichtet hatte als nur Muskeln und Sehnen.
Und trotzdem … trotzdem hielt etwas sie zurück: ihre eigene Version von Honors Hartnäckigkeit und Stolz, ihr Bedürfnis, ihre Kämpfe selbst zu führen. Wie Allison gesagt hatte, war Emily Alexander eine außerordentlich intelligente Frau. Nach einem halben Jahrhundert im Lebenserhaltungssessel wusste sie, wie töricht es ist, darauf zu bestehen, sich allen inneren Dämonen und allen ureigensten Herausforderungen ohne Hilfe zu stellen. Zumal Emily das nie tun musste. Weil Hamish für sie da war. Weil er, von einer kurzen Episode der Schwäche abgesehen, immer für sie da gewesen war und sie sich immer auf ihn verlassen hatte. Aber nun war alles anders. Sie hätte nicht definieren können, wieso, und doch stand es fest.
»Emily«, sagte Allison ruhig, als sich das Schweigen zwischen ihnen dehnte, »Sie sind nicht so einzigartig, wie Sie vielleicht glauben. Gewiss, die Verletzungen, die Sie überlebt haben, vielleicht schon. Zumindest kann ich mich an keinen Fall in meiner oder Alfreds Erfahrung erinnern, bei dem jemand solch extremen körperlichen Schaden überlebt hätte wie Sie. Menschen, die so schwer verletzt werden wie Sie, erleiden in mehrerer Hinsicht Schäden. Ich habe niemals Einblick in Ihre Fallgeschichte gehabt, und ich habe auch nie bei Honor nachgebohrt – nicht dass sie mir dann etwas gesagt hätte. Aber jetzt muss ich Ihnen die Frage stellen: Genau wie Honor regenerieren Sie nicht. Ist das der Grund? Haben Sie Angst, das Ihr Kind dieses Unvermögen erben könnte?«
»Ich …« Emilys Stimme war rau, und sie hielt inne und räusperte sich.
»Das … gehört dazu«, sagte sie schließlich, entfernt erstaunt, dass sie Allison gegenüber auch nur so viel einräumen konnte. »Ich nehme an, ich habe immer gewusst, dass der Entschluss … nicht nur vernunftbestimmt war. Wie Sie sagten« – sie verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln –, »nur weil jemand Gründe für eine Entscheidung hat, sind die Gründe deshalb noch lange nicht stichhaltig.«
»Haben Sie die Frage je mit einem guten Genchirurgen besprochen?« Allisons sanfte Stimme war nicht vom leisesten Schatten einer Bewertung gefärbt.
»Nein.« Emily blickte weg. »Nein, eigentlich nicht. Konsultiert habe ich mehrere. Aber wenn ich ehrlich bin, dann habe ich wohl nur so getan, als wäre ich ernsthaft interessiert. Für mich, vielleicht auch für Hamish. Ich weiß es nicht.« Mit Tränen in den grünen Augen sah sie Allison wieder an. »Ich habe mit ihnen gesprochen, und sie mit mir. Sie versicherten mir immer wieder, dass es nicht geschehen würde. Und dass selbst dann, wenn ich irgendwie doch meinen ›Fluch‹ weitergab, die Vorstellung absurd wäre, dass ein Kind von mir genauso verletzt werden könnte wie ich. Aber nichts davon zählte. Kein bisschen.« Sie starrte Allison in die Augen und zwang sich jemand anderem gegenüber zuzugeben, was sie bis zu diesem Augenblick sich selbst nie umfassend eingestanden hatte. »Ich hatte zu große Angst, um vernünftig zu sein.«
Sie stand kurz davor, Allison den Grund zu nennen. Ihr zu verraten, was sie ihre eigene Mutter hatte sagen hören, ohne dass diese es bemerkte. Zuzugeben, wie tief sie diese Worte verletzt hatten, obwohl die brennende Wunde stets von ihrem Intellekt verleugnet worden war. Aber sie konnte nicht. Selbst jetzt vermochte sie diese gezackte Narbe nicht zu offenbaren. Noch nicht.
»Wenn Sie nach dem, was Ihnen zugestoßen ist, nur in dieser Hinsicht ›irrational‹
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