Honor Harrington 17. Um jeden Preis
mache dir deswegen keine Vorwürfe; Hamish auch nicht. Ich gebe nicht einmal mehr Gott die Schuld, jedenfalls nicht mehr sehr. Aber es tut weh, und ich müsste dich anlügen, wenn ich das Gegenteil behaupten wollte.«
Eine Träne rann Honor die Wange hinunter, als sie Emilys Entschlossenheit schmeckte, vollkommen offen zu sein, nicht nur zu Honor und Hamish, sondern auch zu sich selbst. Vielleicht zum ersten Mal zu sich selbst vollkommen offen zu sein.
»Wenn ich dich ansehe, Honor«, sagte sie mit funkelnden grünen Augen, »dann erinnere ich mich. Ich erinnere mich, wie es war, zwei gesunde Beine zu haben. Allein stehen zu können. Mich bewegen zu können. Unterhalb der Schultern etwas spüren zu können – irgendetwas. Aus eigener Kraft zu atmen.«
Sie sah fort und holte tief und schaudernd Luft.
»Hat Hamish dir je erzählt, wie schlimm meine Verletzungen wirklich waren, Honor?«, fragte sie.
»Wir haben darüber gesprochen … ein wenig«, antwortete Honor in einer seltsamen Gelassenheit, mit der sie Emilys Aufrichtigkeit durch Aufrichtigkeit vergalt, und hob die Hand, um Emily mit dem Daumen eine Träne von der Wange zu wischen. »Nicht in Einzelheiten.«
»Nicht nur mein Rückgrat ist bei diesem Unfall zerschmettert worden«, sagte Emily, den Blick noch immer von Honor abgewandt. »Die Ärzte haben getan, was sie konnten, aber zu vieles ließ sich nicht mehr in Ordnung bringen. Oder es hätte keinen Sinn gehabt, es in Ordnung zu bringen, weil ich seit sechzig T-Jahren außer meiner rechten Hand nichts mehr unterhalb meiner Schultern gespürt habe – überhaupt nichts, Honor. Nichts.«
Sie sah Honor wieder an.
»Außerhalb dieses Stuhles kann ich nicht überleben. Kann nicht einmal selbständig atmen. Und dann kommst du. So gesund, so fit . Und so schön, obwohl ich Zweifel habe, ob du das überhaupt merkst. Alles, was ich einmal war, bist du, und ab und zu, ach Gott, Honor, da verübele ich es dir so sehr. Wenn es mir zu sehr wehtut.«
Sie hielt kurz inne, blinzelte und lächelte zaghaft.
»Aber du bist nicht ich. Du bist ein ganz anderer Mensch. Ein recht wunderbarer anderer Mensch sogar. Als ich begriff – als du es mir gesagt hast –, was du und Hamish füreinander empfindet, war es hart für mich. Ich wusste, vernunftmäßig zumindest, dass es nicht deine Schuld war und wie schrecklich ihr euch gegenseitig verletzt hattet, nur um mir nicht wehzutun. Und deshalb, und wegen der politischen Konsequenzen, wenn die Welt der Schmutzkampagne der damaligen Regierung geglaubt hätte, traf ich die – vernunftmäßige – Entscheidung hinzunehmen, was sich nicht ändern ließ, und die Folgen möglichst gering zu halten.
Erst später, nachdem ich dich wirklich kennengelernt hatte, begriff ich emotional, tief in mir, dass du wahrhaft ein Teil von Hamish bist und also auch ein Teil von mir. Trotzdem wirst du dadurch nicht zu mir. Und der Schmerz, unter dem ich manchmal noch immer leide, wenn ich dich neben Hamish stehen sehe, wo früher ich gestanden habe, oder daran denke, dass du in seinem Bett liegst, wo früher ich gelegen habe, ist so viel unwichtiger, als wer du bist und was du Hamish bedeutest … und mir.
Und jetzt das.« Sie schüttelte den Kopf. »Ob du es nun wolltest oder nicht, damit hast du mich noch weiter überrundet. Du hast etwas getan, was ich früher einmal mich selbst tun sehen konnte. Ein Baby, Honor.« Sie blinzelte wieder. »Du bekommst ein Baby – Hamishs Baby. Und das tut mir weh, so furchtbar weh … und ist trotzdem so wunderschön.«
Ein Leuchten des Entzückens brach aus ihr hervor wie Sonnenlicht zwischen Gewitterwolken. Es war kein echtes Glück – noch nicht. Das Gefühl enthielt zu viel harten Schmerz und den unterschwelligen Groll, von dem Emily wusste, dass beides unvernünftig und unangebracht war. Dennoch war es Freude, und in ihr spürte Honor die Chance, sich zu Glück zu wandeln.
»Hamish und ich haben darüber gesprochen«, sagte Honor und sah ihr in die Augen. »Wir möchten das Kind beide. Aber noch mehr möchten wir vermeiden, dich zu verletzen oder dir Kummer zu machen. Unter den wohltätigen Einrichtungen, die Willard von Grayson aus für mich beaufsichtigt, sind wenigstens drei Waisenhäuser und zwo Agenturen zur Adoptionsvermittlung, eine auf Grayson, eine hier im Sternenkönigreich. Wir können das Kind zur Adoption freigeben, Emily. Wir können dafür sorgen, dass es liebevolle Eltern bekommt, die alles für es tun.«
»Nein, das könnt ihr nicht
Weitere Kostenlose Bücher