Honor Harrington 18. Auf Biegen und Brechen
rückhaltlos hinter ihm stand.
Pritchart ging zu ihrem Sessel, zog ihn vom Tisch zurück, setzte sich und wartete einen Augenblick, bis er sich an ihre Körperformen angepasst hatte. Dann beugte sie sich ganz leicht vor und musterte die Mitglieder ihres Kabinetts nacheinander mit ernstem Blick.
»Ich weiß, Sie alle wundern sich, aus welchem Grund ich diese außerordentliche Sitzung einberufen habe«, begann sie. »Sie werden es gleich erfahren. Auch werden Sie einiges hören, von dem bisher nur sehr wenige in diesem Raum wussten. Diese Dinge werden Sie schockieren und die meisten von Ihnen wahrscheinlich sogar mehr als nur ein wenig erschüttern. Dennoch werden Sie wohl begreifen, weshalb die Einzelheiten streng geheim gehalten wurden. Doch nun habe ich eine politische Initiative im Sinn, für die ich die volle – und auf umfassender Kenntnis der Lage beruhende – Unterstützung jedes Mitglieds dieser Regierung benötige. Ich hoffe, dass Sie mir diese Unterstützung gewähren.«
Sie besaß die gespannte Aufmerksamkeit des Kabinetts, bemerkte sie und lächelte fast ein wenig wehmütig.
»Denis«, wandte sie sich an den Justizminister, »würden Sie wohl Kevin und Wilhelm hereinbitten?«
»Gern, Madame Präsidentin.«
Denis LePic drückte eine Taste an seinem Terminal. Unverzüglich öffnete sich eine Tür in der Westwand, wie ein klaffende Wunde im Herzen des lebenden, atmenden Abbilds von Nouveau Paris. Pritchart fand diesen Anblick immer recht unangenehm, und heute erschien er ihr unheilverkündender denn je.
Sie begrüßte sie mit einem Nicken und wies auf die leeren Sessel zu beiden Seiten LePics. Usher und Trajan setzten sich, und Pritchart wandte sich wieder an das Kabinett, von dessen Mitgliedern einige offensichtlich perplex waren – und nicht wenig besorgt.
»Kevin und Wilhelm sind hier, um bei der Erläuterung der Dinge zu helfen«, sagte Pritchart. »Insbesondere wird Kevin Ihnen etwas zur Kenntnis bringen, wovon er mich bereits vor fast sechs T-Monaten informiert hat. Kurz gesagt, meine Damen und Herren, hat nicht die Regierung High Ridge unsere diplomatische Korrespondenz verfälscht.«
Die wenigen, die wie Rachel Hanriot schon davon gewusst hatten, nahmen ihre Worte relativ gelassen auf. Die übrigen starrten Pritchart zuerst nur an, als könnte ihr Geist nicht auffassen, was sie gehört hatten. Dann ließ sich nur schwer sagen, ob nun Bestürzung, Unglaube oder Wut die vorherrschende Regung war. Wie die genaue Zusammensetzung der Empfindungen indes aussah, was sie hervorriefen, erinnerte sehr stark an einen Hexenkessel.
Fünfzehn oder zwanzig Sekunden lang ließ Pritchart sie stammeln und mit den Händen wedeln, dann klopfte sie laut auf den Tisch. Das scharfe Geräusch durchschnitt den Tumult, und die Ministerinnen und Minister sanken in ihre Sessel zurück. Sie wirkten noch immer wie gelähmt, doch ihnen war auch eine gewisse Verlegenheit ob ihrer anfänglichen Reaktion anzumerken.
»Ich kann Ihnen Ihre Überraschung nicht verdenken«, sagte die Präsidentin mit großzügigem Understatement in das Schweigen, das sich wieder eingestellt hatte. »Ich habe sehr ähnlich reagiert, als Kevin mir seine Hypothese vorlegte. Ich werde ihn nun bitten, Sie von einer verdeckten Ermittlung zu unterrichten, die ich genehmigt habe. Sie ist nicht aktenkundig und offen gesagt auch nicht besonders verfassungskonform. Unter den gegebenen Umständen hatte ich jedoch keine andere Möglichkeit gesehen, als seinem Unterfangen grünes Licht zu geben, so wie ich jetzt keine andere Wahl habe, als Sie alle einzuweihen.«
Sie blickte Usher an.
»Wenn Sie so freundlich wären, Kevin.«
Dreißig Minuten später sagte Eloise Pritchart: »Im Großen und Ganzen wäre es das.«
Ushers Vortrag hatte keine zehn Minuten gedauert; die restliche Zeit war mit dem Beantworten von Fragen der Kabinettsmitglieder vergangen – einige Fragen ungläubig, andere feindselig, die meisten verärgert, aber alle besorgt.
»Trotzdem, es ist alles nur Spekulation«, wandte Tony Nesbitt ein, der Handelsminister. Als einer von Arnold Giancolas stärksten Verbündeten im Kabinett neigte er nach wie vor sehr zum Unglauben. »Ich meine, Director Usher hat gerade selbst gesagt, dass es keinen Beweis gebe.«
»Nein, das hat er nicht, Tony«, entgegnete Rachel Hanriot.
Nesbitt sah sie an, und sie erwiderte seinen Blick fast mitfühlend, auch wenn sie sich im Machtkampf zwischen Pritchart und Giancola fast immer auf
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