Honor Harrington 5. Im Exil
etwas, aber das spielte keine Rolle. Allein die Frau zählte, die zu töten er gekommen war.
Vergib mir, Herr , fuhr es ihm leise durch den Sinn, als er den Abzug betätigte.
Als Nimitz sein Ziel traf, hörte Honor die Schreie, aber sie sah noch weitere Bewegung. Sie versuchte, ihre Benommenheit abzuschütteln, versuchte, ihren betäubten Verstand ans Arbeiten zu bringen, aber zuviel Grauen war in zu kurzer Zeit auf sie herabgestürzt, und sie begriff einfach nicht, wie ihr geschah.
Dann sah sie die Waffe, und plötzlich, innerhalb eines bohrenden Augenblicks, verstand sie. Es war kein schrecklicher Unfall gewesen. Jemand hatte den Tod all dieser Menschen in Kauf genommen, um sie umzubringen – und nun hatten die Mörder sie gestellt. Nichts konnte sie noch unternehmen.
»Mylad …«
Der Schrei erstarb in einem Stakkato.
Reverend Julius Hanks, Erster Ältester der Kirche der Entketteten Menschheit, hatte sich zwischen Honor und ihren Mörder geworfen. Kugeln durchschlugen den zerbrechlichen alten Leib, Blut spritzte, und Honor schrie auf – sowohl vor Entsetzen und Weigerung als auch vor Schmerz –, denn die gleichen Kugeln trafen ihre Brust. Sie brach zusammen und schnappte nach der Luft, die der Aufprall ihr aus den Lungen gehämmert hatte. Sie trug ihr Kleid für offizielle Anlässe, nicht ihre Uniform, und die Weste, die Andrew LaFollet so sehr mochte – und die unter Berücksichtigung von Nimitz’ Krallen geschneidert worden war.
Die Weste, die sogar dem Beschuß aus einem leichten Pulser standhalten konnte. Die schweren Pistolenkugeln hätte sie nicht stoppen können, nicht aus dieser Nähe, aber Reverend Hanks’ Körper hatte die Projektile verlangsamt und gerade genügend kinetische Energie absorbiert, daß sie Honors Weste nicht mehr durchschlagen konnten.
Nun lag sie am Grunde des Grabens, von Kopf bis Fuß von Hanks’ Blut überströmt und von seinem Gewicht am Boden gehalten. Der mörderische Aufprall der Geschosse hatte sie gelähmt, und sie schnappte keuchend nach Luft. Der Mörder trat an die Kante des Grabens. Dort kniete er nieder, nahm die Pistole mit ausgestrecktem Arm in Anschlag und zielte sorgfältig, um ihr den alles beendenden Fangschuß durch den Kopf zu jagen.
Martin kniete sich hin und klammerte sich dabei mit den Fingernägeln an seinen Verstand. Sie lebte! Sie lebte noch immer! Wie oft noch mußte er all seinen Mut zusammennehmen, um diese Frau zu töten? Wie viele Unschuldige mußten noch dahinscheiden, bis sie endlich starb?
Der Gedanke an all das Blut, das er auf sich genommen hatte, zerrte an ihm, obwohl er wußte, daß er es für Gott getan hatte. Mitfühlend blickte er auf den Waffenträger, der sein Leben gegeben hatte, um seine Gutsherrin zu retten. Ein guter Mann , dachte er. Noch ein guter Mann, genau wie der Junge am …
Als Edward Martin den Erschossenen erkannte, zerbarst seine Welt in einem schrecklichen, leuchtenden Ausbruch der Erkenntnis. Der Lichtschein der Brände flutete über das Gesicht des Mannes, der auf Harrington lag, und im Gebrüll der Rammen hörte Martin den Teufel triumphierend lachen, denn er kannte das Gesicht. Er kannte es nur zu gut, und es gehörte keinem Waffenträger.
Die Pistole entfiel seinem Griff, und er starrte in tiefstem Entsetzen auf den Mann, den er getötet hatte. Der Mann, dessen Ermordung für seine Seele die ewige Verdammnis bedeutete.
»Mein Gott!« schrie er gequält auf. »Mein Gott, o mein Gott – was hast Du mich tun lassen? «
Honor zuckte erstaunt zusammen, als der Mörder die Waffe fallen ließ, und dann hörte sie trotz des Sirenengeheuls und Flammengetöses seinen gepeinigten Schrei. Sie sah sein Grauen – die völlige Fassungslosigkeit, die in einen hoffnungslosen Schmerz umschlug, der so tief und schrecklich war, daß sie sogar für den Mann, der sie zu töten versucht hatte, einen quälenden Anflug von Mitleid verspürte. Mitleid für den Mann, der den sanften, mitfühlenden Reverend ermordet hatte – und der in diesem entsetzlichen Moment der Erkenntnis begriffen hatte, welche Schuld auf ihm lastete.
Noch jemand bewegte sich, und sie drehte den Kopf herum. Jamie Candless sprang auf. Honor spürte förmlich die schreckliche Anstrengung, mit der der torkelnde Waffenträger gegen den Zusammenbruch seines geschundenen Körpers ankämpfte. Sein Gesicht war nur eine blutverschmierte, von Haß verzerrte Maske. Er starrte auf den Mörder des Reverends und zog mit der langsamen, bedrückenden
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