Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
Tatsumi. Ich will wissen, wer ihm das angetan hat, und ich will es jetzt wissen.«
Ihre blaugrauen Augen bohrten sich in seine, und er mußte schlucken. Die Atmosphäre in der Schiffsapotheke war bis zum Zerreißen gespannt. Tatsumi mußte alle Kraft aufbringen, um zur Seite zu sehen.
»Hören sie«, sagte er schließlich, und seine Stimme hatte einen rauhen Unterton, »er sagt, daß er hingefallen ist, oder? Nun, ich kann Ihnen nichts anderes sagen. Ich hab’ schon alles gesagt, was ich sagen kann.«
»Nein, das haben Sie nicht.«
»Doch, das hab’ ich!« Mit gehetzter Miene schaute er ihr in die Augen. »Ich bin gerade rechtzeitig gekommen, um ihm seinen Arsch zu retten, Senior Chief, und ich habe mich dafür ganz schön weit vorwagen müssen, aber verdammt will ich sein, wenn ich meinen eigenen Kopf selber in den Fleischwolf stecke! Ich mag den Jungen, aber ich hab’ eigene Sorgen. Wenn Sie wissen wollen, wer es war, dann fragen Sie ihn doch!«
»Ich brauche keine fünf Minuten, um Sie vor die Bosun oder den Eins-O zu bringen, Tatsumi. Bei Ihrer Akte glaube ich kaum, daß Sie scharf darauf sind, oder? Besonders dann nicht, wenn Ihr Schweigen Ihnen als Beihilfe ausgelegt werden könnte.«
Der Sanitäter blickte sie wütend an und ließ die Schultern sinken. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Senior Chief«, sagte er, »aber soweit es mich betrifft, hat dieses Gespräch nie stattgefunden. Wenn Sie ihn dazu bewegen, es ihnen zu sagen, dann bestätige ich die Aussage vielleicht – vielleicht –, aber von selbst sage ich Ihnen gar nichts. Wenn ich das tue, bin ich so gut wie tot, kapieren Sie das denn nicht? Wenn Sie mich wieder in den Bunker schicken wollen, dann bitte. Gut. Tun Sie das. Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber ich nenne Ihnen keine Namen – Ihnen nicht, der Bosun nicht, und dem Eins-O nicht. Nicht einmal der Kommandantin.« Er wich ihrem Blick aus und zuckte mit den Schultern. »Es tut mir leid«, sagte er leiser. »Ganz ehrlich. Aber ich kann nicht anders.«
Ginger wippte auf den Fersen. Ihr ursprünglicher Verdacht, Tatsumi könnte sich am Zusammenschlagen Aubreys beteiligt haben, war von der offensichtlichen Tiefe der Furcht, in der der Sanitäter lebte, davongewischt worden. Diese Furcht ließ Ginger innerlich frösteln. Etwas noch Häßlicheres als das, was sie zuerst vermutet hatte, ging hier vor, und sie biß sich auf die Lippe. Aubrey wollte nicht, daß sie sich einmischte, und Tatsumi schien ehrlich um sein Leben zu fürchten. Er machte auf sie sogar den Eindruck, daß er ihr den Namen gesagt hätte, wenn es um nur eine Person gegangen wäre. Schließlich und endlich hätte die Disziplinarstrafe den Täter wie ein Schlag mit einem Hammer zu Boden geschmettert – vorausgesetzt es war ein Einzeltäter und Tatsumi und Aubrey sagten gegen ihn aus. Dann müßten sie sich um den Kerl keine Gedanken mehr machen … also hatten sie noch vor jemand anderem Angst. Und das hieß …
»Also gut«, sagte sie sehr leise. »Sie behalten Ihre Geheimnisse für sich – vorerst jedenfalls. Aber ich gehe der Sache auf den Grund, und glauben Sie bloß nicht, daß ich dabei alleine bin. Sie und Aubrey können aussagen, was Ihnen in den Sinn kommt, aber Lieutenant Holmes weiß, daß Aubrey nicht gestürzt sein kann, und Sie können darauf wetten, daß er einen umfassenden Bericht schreiben wird. Dadurch werden automatisch zumindest die Bosun und der Profos eingeschaltet, und ich glaube kaum, daß der Eins-O bloß schulterzuckend rumsitzen wird. Bei all dem Gewicht, das dann plötzlich von oben drauf drückt, wird unten etwas herausgequetscht, und wenn Sie damit zu tun haben, dann sollten Sie beten, daß ich das nicht als erste erfahre. Haben Sie das kapiert?«
»Ja, hab’ ich, Senior Chief«, sagte der Sanitäter leise, und Ginger verließ das Lazarett.
»… das ist die Geschichte, Bosun. Keiner will auch nur ein Wort sagen, aber ich weiß hundertprozentig, daß Wanderman nicht einfach gestürzt ist.«
Sally MacBride klappte ihren Sessel nach hinten und betrachtete den wutschäumenden weiblichen Senior Chief mit gleichmütigen braunen Augen. Ginger Lewis war zwar erst vor weniger als einem Monat in den Bund der Bootsleute an Bord der Wayfarer aufgenommen worden, aber bisher hatte Sally MacBride gemocht, was sie von ihr sah. Lewis war pflichtbewußt, arbeitete hart und wußte ihre Leute zu führen, ohne sie etwa aus Unsicherheit wegen ihrer so rasch erlangten Führungsposition von
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