Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
ich es tun. Aber in Anbetracht dessen, was Wanderman zugestoßen ist, und der Angst, die Tatsumi hat, würde ich lieber sehr vorsichtig sein.« Cardones kratzte sich die Stirn, und sein Falkengesicht wirkte ungewohnt besorgt. »Das Problem besteht darin, daß wir nicht alles wissen, was vorgeht. Die Bosun und ich glauben , daß Steilman hinter allem steckt, aber sie hat auch Gerüchte hört, daß Steilman nicht alleine ist. Selbst wenn wir ihn präventiv unter Arrest stellen, könnte einer seiner Kumpane Tatsumi oder Wanderman erwischen, bevor sie ausgesagt haben. Natürlich könnten wir beide in Schutzhaft nehmen und sie dort belassen, bis sie sich zum Reden entschließen, aber mit Lewis kann ich das nicht tun. Wanderman und Tatsumi einzusperren könnte allerdings gerade die Eskalation auslösen, die ich vermeiden will. Auf kurze Sicht würde es nämlich so aussehen, daß Steilman mit seinem Verhalten davonkommt.«
Honor nickte. Sie rieb sich noch immer die Nasenspitze, lehnte sich zurück und faltete auf Nimitz’ weichem, flauschigen Fell die Hände. Durch ihre jahrelange Kommandoerfahrung vermochte sie eine ruhige Miene zu bewahren, obwohl sie innerlich vor Wut kochte. Sie haßte Tyrannen, und einer Bande aus Abschaum, die solche Furcht verbreitete, wie Cardones berichtete, galt ihre ganze Verachtung. Noch schlimmer, Steilmans Opfer waren Angehörige ihrer Crew. Kirk Dempsey kannte sie nicht, aber Wanderman, und sie mochte den Jungen. Was allerdings keine Rolle spielte: Die Navy war dafür verantwortlich, daß dergleichen nicht vorkam und jeder, der so etwas versuchte, den Preis bezahlte – und das machte an Bord dieses Schiffes Honor verantwortlich. Aber Cardones hatte recht. Solange Tatsumi und Wanderman sich weigerten, Namen zu nennen, und niemand beweisen konnte, daß Steilman den ›Unfall‹ in Impeller Eins verursacht hatte, gab es keine offizielle Handhabe für die einzige Strafe, die ihn in Zukunft vielleicht von solchen Vergehen abgehalten hätte. Lange blickte sie auf ihre Schreibunterlage, dann atmete sie tief durch.
»Soll ich mit Wanderman reden?«
»Ich weiß nicht recht, Ma’am«, antwortete Cardones zögernd. Der I.O. wußte genau, daß von allen Offizieren der Wayfarer am ehesten die Kommandantin Wanderman zur Aussage bewegen könnte. Der Junge betete sie an und vertraute ihr. Vielleicht würde er ihr sagen, wer ihn angriffen hatte. Vielleicht aber auch nicht. Nicht nur, daß er halb verrückt war vor Furcht, mittlerweile hatte er in so vielen Gesprächen darauf beharrt, gestürzt zu sein, daß es ihm nun ausgesprochen schwer fallen mußte, seine Lüge einzugestehen, und Wanderman war so jung, daß er die Demütigung dieses Geständnisses noch tief empfinden mußte.
»Ich würde vorher noch etwas anderes probieren wollen, Ma’am«, sagte der I.O. schließlich. Honor blickte ihn fragend an, und er verzog den Mund zu einem grimmigen Lächeln. »Die Bosun ist der Meinung, daß Wanderman vielleicht ein wenig … Beratung benötigt«, sagte er, »deshalb hat sie Chief Harkness gefragt, ob er nicht Lust hätte, den Jungen ein wenig zu betreuen.«
»Harkness?« Honor schürzte die Lippen, dann lachte sie leise. Das Lachen klang ein wenig hämisch, und ihre mandelförmigen Augen glitzerten mit eiskaltem Entzücken. »Daran hatte ich gar nicht gedacht«, gab sie zu. »Chief Harkness in Wandermans Nähe wäre sicherlich … beruhigend, nicht wahr?«
»Jawohl, Ma’am. Das einzige, was mir Sorge macht, ist die Neigung des Chiefs, Probleme direkt anzugehen.«
Honor erinnerte sich daran, wie Admiral White Haven sie über die Nachteile der Direkten Aktion belehrt hatte. Dennoch, manchmal verlangte eine Situation nach Direktheit, und Honor wußte, daß sie sich auf MacBrides und Harkness’ Urteil verlassen konnte. Jeder Offizier wußte, wer Ihrer Majestät Navy in Wirklichkeit in Gang hielt, und Honor war mehr als bereit, der Kreativität erfahrener Unteroffiziere ein wenig Freiraum zu gewähren.
»Also gut, Rafe«, sagte sie schließlich. »Für den Moment überlasse ich die Angelegenheit Ihnen und der Bosun, aber wir werden Steilman die Aufsässigkeit nicht durchgehen lassen. Morgen früh tritt Mr. Steilman vors Bordgericht. Dann wollen wir doch einmal sehen, wie es ihm schmeckt, Energietechniker Dritter Klasse zu werden. Außerdem möchte ich gern ein Wörtchen mit ihm reden. Sorgen Sie dafür, daß auf Wanderman und Tatsumi geachtet wird. Ich möchte nicht, daß ihnen etwas zustößt, bevor wir
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