Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
befragen. Denn eins garantiere ich dir, mein Junge, wenn die Alte Lady Fragen stellt, dann erhält sie auch Antworten, und du machst sie besser nicht wütend.« Als Aubrey schluckte, lachte der Senior Chief auf. »Aber auch das mußt du selber wissen, und ich werde dir da keinen Rat geben. Nein«, und er schüttelte den Kopf, »ich bin wegen eher praktischer Dinge hergekommen.«
»Praktischer Dinge?« fragte Aubrey zögernd.
»Jau. Wanderman, ich will nicht von dir wissen, was du irgend jemandem erzählen wirst, ich möchte von dir wissen, was du unternehmen willst.«
»Unternehmen?« Aubrey sackte aufs Bett, hielt sich mit einer Hand den Leib und leckte sich über die Lippen. Die Schnellheilung hatte schon angeschlagen, aber geschwollen waren die Lippen trotzdem noch, und er schluckte noch einmal. »Was meinen Sie mit … mit ›unternehmen‹, Senior Chief?«
»So wie ich das sehe«, antwortete Harkness ruhig, »hat Steilman dich grün und blau geschlagen, und dann hat er wahrscheinlich etwas gesagt wie: ›Paß auf, ich hab’ Freunde, also halt die Klappe, sonst blüht dir was.‹« Er zuckte die Achseln. »Das Problem dabei ist nun, du hast Steilman am Hals. Wenn du den Mund hältst und ihn trotzdem wieder loswerden willst, dann mußt du etwas dagegen unternehmen, sonst läuft alles aufs gleiche hinaus. Ich kenne die Arschlöcher von Steilmans Kaliber. Sie verletzen gern andere Menschen; daran ziehen sie sich hoch. Also, was willst du das nächstemal mit ihm machen?«
»Ich …« Aubrey verstummte mit hilfloser Miene, und Harkness nickte.
»Dachte ich mir’s doch. Daran hast du wohl noch keinen Gedanken verschwendet?«
Aubrey schüttelte den Kopf, ohne zunächst zu begreifen, daß er damit indirekt zugab, nicht gestürzt zu sein – und daß Harkness hinsichtlich seines Angreifers richtig vermutet hatte. Aubreys Blick bohrte sich in die Augen des Senior Chiefs, und Harkness seufzte.
»Wanderman, du bist ein guter Junge, aber mein Gott, bist du grün ! Du hast jetzt nur zwo Möglichkeiten. Entweder gehst du zur Bosun und sagst ihr, was wirklich passiert ist, oder du beschäftigst dich auf eigene Faust mit Steilman. Das eine oder das andere. Denn wenn du nichts tust, kannst du dich darauf verlassen, daß Steilman sich mit dir befaßt, sobald er glaubt, ihm könnte nichts mehr passieren. Also, wofür entscheidest du dich?«
»Ich …« Aubrey senkte den Blick und holte tief Luft, dann schüttelte er heftig den Kopf. »Zur Bosun kann ich nicht gehen, Senior Chief«, gab er mit rauher Stimme zu. »Es geht ja nicht nur um mich – und nicht nur um Steilman. Er hat Freunde … und ich auch. Wenn ich ihn in den Bunker bringe, woher soll ich wissen, daß einer seiner Freunde nicht mir auflauert oder Gin …« Er verstummte und räusperte sich. »Oder einem meiner Freunde?«
»Okay.« Harkness zuckte mit den Schultern. »Meiner Meinung nach begehst du einen Fehler, aber wenn du dich so entscheidest, dann hast du dich so entschieden, und ich bin nicht deine Mami. Aber dann bleibt dir nur eine Wahl. Bist du dazu wirklich bereit?«
»Nein«, brummte Aubrey hoffnungslos. Seine Schultern gaben nach, und sein Gesicht brannte vor Demütigung, aber er zwang sich, vom Deck aufzublicken. »Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie geprügelt, Senior Chief«, sagte er mit einer Art von verzweifelter Würde. »Ich weiß nicht einmal, ob ich beim nächstenmal den Mumm habe, mich zu wehren, aber selbst wenn, würde mir das nichts nützen.«
»Mumm?« wiederholte Harkness sehr leise und lachte auf. »Mein Junge, du hast unendlich mehr Mumm als Steilman!« Aubrey blinzelte ihn ungläubig an, und der Senior Chief schüttelte den Kopf. »Du hast zwar schreckliche Angst vor ihm, aber ich sehe dich nicht in Panik verfallen«, stellte er fest. »Denn dann hättest du in der gleichen Sekunde, in der du im Lazarett warst, nach der Bosun geschrien. Nein, Wanderman, dein Problem ist vielmehr, daß du zuviel Mumm hast, um in Panik zu geraten, und gleichzeitig nicht genug, um zur Bosun zu gehen. Du hast die Sache durchdacht und hältst deine Entscheidung für klug. Damit hast du dich nur leider in die Zwickmühle gebracht. Trotzdem solltest du erstmal ein wenig über Steilman nachdenken. Überleg mal, was für Leute der Kerl normalerweise nach Strich und Faden verprügelt. Er hat – was? – zwomal soviel Masse wie du, er ist doppelt so alt und hat die zehnfache Erfahrung. Aber sucht er Streit mit mir? Ist er frech zur Bosun? Oder
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