Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
nehmen«, räumte sie ein. »Schließlich haben wir sie ebenfalls nur passiv geortet. Sie werden uns im Auge behalten, und wir sehen aus wie ein weiterer Frachter. Möglich, daß sie sogar hoffen, wir hätten sie noch gar nicht bemerkt. Und dann würden sie wohl kaum mit ihrem Radar ans Schott klopfen wollen.«
Caslet nickte und betrachtete finster das Display. Der Frachter war ein Schiff des Gegners, zwar kein Kriegsschiff, aber er fuhr dennoch unter feindlicher Flagge. Die Missionsorder machte einen Angriff auf dieses Schiff zu Caslets Pflicht. Seine Vorgesetzten hatten wohl kaum eine Situation berücksichtigt, in der Caslet auch nur in Erwägung ziehen könnte, einen Manticoraner zu retten , aber dummerweise wußte er zuviel über die Psychopathen an Bord dieser Piratenschiffe. All seine Instinkte verlangten, daß er dem Manty half, doch die Chancen waren entmutigend niedrig. Caslet war bereit, sich mit seinem Schiff und seinen Leuten allem zu stellen, was annähernd die gleiche Masse hatte – unter Berücksichtigung der technischen Überlegenheit der Manticoraner, fügte er in Gedanken säuerlich hinzu. Er bezweifelte, daß die Opfer der Piraten jemals das Feuer ihrer Angreifer erwidert hatten. Außerdem war die Armierung der Vaubon besser als alles, was die Piraten aufbieten konnten … eine nette Abwechslung von dem Gefühl, ständig mit unzureichenden Mitteln anzutreten. Caslet war sich völlig gewiß, die beiden kleineren Schiffe ausschalten zu können; das größere allerdings bereitete ihm Kopfzerbrechen. Zudem würde gewiß jemand von weiter oben seinen Kopf verlangen, wenn er das Gefecht eröffnete. Aber er konnte doch nicht einfach dasitzen und zuschauen, wie diese Barbaren eine weitere Crew ermordeten!
»Ich möchte angreifen, Sir.« Caslet glaubte den eigenen Ohren nicht zu trauen – er hatte es ausgesprochen. Während er mit ruhiger, gemessener Stimme, die doch eigentlich jemand anderem gehören mußte, auf den Volkskommissar einredete, sah er, wie es in Jourdains betroffener Miene arbeitete. »Das sind Piraten, und sie werden wissen, daß sie selbst dann fürchterliche Schäden davontragen, falls es ihnen gelingt, uns auszuschalten. Wenn wir offen angreifen, werden sie vermutlich abbrechen.«
»Und wenn nicht?« fragte der Volkskommissar direkt.
»Wenn nicht, könnten sie uns besiegen, wenn wir viel Pech haben. Aber vorher schießen wir sie soweit zusammen, daß sie für Bürger Admiral Giscards Operationen keine Gefahr mehr darstellen. Wenn wir uns nicht einmischen, werden die Piraten der Crew des Frachters das gleiche antun wie Captain Sukowski und Commander Hurlman – oder wie der Besatzung der Erewhon .«
»Aber das Schiff ist manticoranisch«, beharrte Jourdain. »Unser Auftrag besteht darin, solche Schiffe aufzubringen.«
»Wenn das so ist«, entgegnete Caslet und lächelte dabei unwillkürlich, »dann müssen wir unsere Nebenbuhler eben überzeugen, das Schiff uns zu überlassen.« Jourdain blinzelte, und Caslet machte eine entschuldigende Gebärde. »Für die manticoranische Crew ist es sicher hart, wenn wir zuerst ihr Schiff ›retten‹ und dann selber kapern, Bürger Kommissar, aber wenn die Leute erst mit Captain Sukowski gesprochen haben, werden sie rasch einsehen, daß sie mit uns besser dran sind als mit Warneckes Verbrechern. Und wie Sie schon sagten, sollen wir jeden manticoranischen Frachter aufbringen, auf den wir stoßen. Genau so steht es in unserer Order.«
»Irgendwie«, meinte Jourdain knochentrocken, »bezweifle ich allerdings, daß unsere Order uns zwingt, vorher drei zu eins überlegene Piraten anzugreifen.«
»Das ist nicht schriftlich niedergelegt, Sir.« Caslet gestattete seinem Lächeln, breiter zu werden, und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. »Nach dem Wortlaut der Order haben wir gar keine andere Wahl. Schließlich lassen sie uns keinen Ermessensspielraum.«
»Wenn Sie das Schiff verlieren, wird man uns beide aufknüpfen und hängen lassen, bis wir trocken sind, Bürger Commander.«
»Wenn wir das Schiff verlieren, wird das die geringste unserer Sorgen sein, Sir. Wenn wir andererseits Erfolg haben, werden Bürger Admiral Giscard und Bürgerin Kommissar Pritchart den Blick von jeder … Unregelmäßigkeit unseres Tuns abwenden. Erfolg ist immer noch die beste Rechtfertigung.«
»Sie müssen den Verstand verloren haben«, entgegnete Jourdain freundlich, dann zuckte er die Achseln. »Aber wenn wir schon gehängt werden, dann soll es sich
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