Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
außerdem betont, wie wichtig Aufklärungsschiffe für die Hauptstreitmacht seien. Anscheinend weist Giscard auf die Notwendigkeit hin, Zielsysteme im einzelnen aufzuklären, bevor man sich dorthin begibt. Und genau das wird der Auftrag der Vaubon gewesen sein, als Caslet über Sukowski stolperte und von Warnecke erfuhr.«
»Das gefällt mir überhaupt nicht.« Cardones fuhr sich über die Stirn. »Wenn man ihn nämlich ausgewählt hat, um seine Theorien in die Tat umzusetzen, dann wird er sich sein Geschwader nach eigenen Wünschen zusammengestellt haben.«
»Ganz genau. Ich vermute deshalb, daß wir es höchstwahrscheinlich mit einem kompletten Schweren Kreuzergeschwader zu tun bekommen, eventuell sogar mit Schlachtkreuzern, dazu Leichte Kreuzer als Aufklärer. Leichte Kreuzer sind schon schlimm genug, aber Schwere Kreuzer werden nach unserem Kräfteabbau mit dem üblichen Geleitschutz problemlos fertig.«
»Und dann gibt es uns noch«, sagte Cardones leise.
»Und dann gibt es uns noch.« Honor starrte stirnrunzelnd das Memopad an und schob es hin und her. »Wenn Giscard hier draußen ist«, sagte sie im Tonfall eines Menschen, der laut denkt, »und die vielen havenitischen Gesandtschaften und Handelsposten als Spionagenetz gebraucht, dann muß er doch ein Gefühl für die Muster in den hiesigen Schiffsbewegungen haben, oder nicht?«
»Doch, Ma’am, das muß er.« Cardones nickte und fragte sich, worauf die Kommandantin hinauswollte. Sie schnitt ein Gesicht.
»Nun gut, gehen wir weiter und nehmen an, daß er mittlerweile von unseren Q-Schiffen in diesem Gebiet erfahren hat – oder bald erfährt. Wenn wir havenitische Aktivität mit einbeziehen, ergibt sich aus unseren Verlustverteilungen, daß Giscard seine Schiffe in kleinen Abteilungen operieren läßt. Die großen Schiffe vielleicht einzeln, aber wahrscheinlich in Divisionen zu mindestens zwo Schiffen – seine Vorträge an der Kriegsschule betonten, daß man die eigene Sicherheit niemals als gewährleistet annehmen darf und alle Mittel konzentriert halten muß. Aber wenn Sie Giscard wären und erführen, daß in Ihrem Gebiet ein Geschwader manticoranischer Q-Schiffe aufgetaucht ist, würden Sie Ihr Operationsmuster ändern?«
»Jawohl, Ma’am«, antwortete Cardones nach kurzem Nachdenken. »Wenn Giscard schon für routinemäßigen Handelskrieg auf Stärkekonzentration besteht, dann wird er seine Kräfte unter Bedrohung noch mehr zusammenziehen. Damit würde er weniger Raum abdecken, wäre aber eher in der Lage, es mit einem oder zwo von uns aufzunehmen. Und selbstverständlich könnte er nicht darauf zählen, daß wir allein operieren, deshalb muß sein Bedürfnis auf Massierung noch größer werden.«
»Ich stimme Ihnen zu, aber ich hatte etwas Tiefgreifenderes im Sinn.«
Cardones runzelte die Stirn. »Und was, Ma’am?«
»Wir sollten Giscard zugestehen, daß er wenigstens so intelligent ist wie wir, aber nicht weiß, daß wir eins seiner Schiffe aufgebracht oder anderen Grund haben, seine Präsenz zu vermuten. Dann würde ich an seiner Stelle doch erwarten, daß mein manticoranischer Gegner genau das tut, was wir getan haben: sich in die am stärksten gefährdete Zone begeben und patrouillieren.«
Sie blickte Cardones an, der schweigend zustimmte, dann sprach sie weiter.
»Nun gut, wenn ich also Giscard wäre und aufgrund dieser Annahmen operieren müßte, würde ich vermutlich entscheiden, mich ganz woanders umzusehen. An einer Stelle, an der ich bei verhältnismäßig geringem eigenem Risiko möglichst viele Frachter aufbringen kann, während die Q-Schiffe fleißig ganz woanders nach mir suchen.«
»Das klingt vernünftig«, pflichtete Cardones ihr bei und musterte das Gesicht seiner Kommandantin. »Die Frage ist nur, wo man solch ein Zielgebiet findet.«
»Genau hier«, sagte Honor ruhig und schaltete eine holographische Sternenkarte ein, auf der die Anfahrtwege zum südöstlichen Quadranten der Konföderation zu sehen waren. Honor setzte etwa zwanzig Lichtjahre von Sachsen entfernt einen Leuchtpunkt. Cardones brauchte die Darstellung nur kurz zu mustern, dann kniff er begreifend die Augen zusammen, denn der Leuchtpunkt zeigte auf das Gebiet, das als Selker-Riß bekannt war.
»Risse« nannte man allgemein die Zonen im Hyperraum zwischen den Gravwellen. Sie waren alles andere als ungewöhnlich; tatsächlich besteht der Hyperraum im Grunde zum allergrößten Teil aus einem einzigen gewaltigen Riß, denn im Vergleich zu interstellaren
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