Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
‘Kater schwer. Er rollte sich auf dem Sitz neben Honor zusammen, knetete die Polster und trieb immer wieder die Krallen hinein. Mit einer Hand liebkoste Honor langsam und beruhigend seinen Rücken, und die Minuten krochen behäbig dahin.
Einmal mehr piepte das Kästchen, und ohne Hast nahm Honor die Hand von dem ‘Kater. Erneut gab sie den Code in die kleine Tastatur ein. Aber diesmal handelte es sich um eine leicht unterschiedliche Ziffernfolge. Das rote Licht ging aus, und beiläufig blickte Honor auf das Chronometer am Querschott.
Drei Stunden und fünfzehn Minuten. Gemeinsam mit Fred Cousins hatte sie die maximale Reichweite von Warneckes Handsender so genau wie möglich abgeschätzt, bevor sie dem Freibeuter gestattete, das ursprüngliche Gerät durch den stärkeren Sender zu ersetzen. Unter der Voraussetzung, daß die Empfangsanlage ausreichend empfindlich wäre, konnte ein Sender dieser Größe auf maximal zwei Lichtminuten sein Signal übermitteln. Eingedenk dessen hatte Honor beschlossen, daß Warnecke sich mindestens fünf Lichtminuten von dem Planeten entfernt haben müßte, bevor sie es wagen konnte, ihn anzugreifen. Jetzt war es soweit.
Sie wartete noch einige Sekunden, dann drückte sie den dritten Knopf auf dem Kästchen – den die neue Zahlenkombination aktiviert hatte. Es geschahen zwei Dinge: Zuerst schaltete sich der kleine, aber sehr wirksame Störsender ein, der innerhalb der Selbstvernichtungsladung verborgen war, und strahlte ein Feld aus, dessen Stärke ausreichte, um jedes Funksignal zu verstümmeln. Nur die Signallaser des Shuttles waren nun noch in der Lage, den Zündbefehl zu übertragen. Und kaum hatte sich der Störsender eingeschaltet, öffnete sich die Unterseite des Kästchens, und Honor fiel das vertraute Gewicht einer geladenen, gespannten, entsicherten Automatikpistole vom Kaliber.45 in die Hand.
Keiner von Warneckes Männern begriff, was vor sich ging, denn der Sitz vor Honor verbarg das Kästchen vor ihren Blicken. Zudem wußten sie ja, daß die Manticoranerin unbewaffnet war, denn sie hatten den Sender überprüft, ohne die verräterische Energiequelle eines Pulsers oder einer anderen modernen Handwaffe aufzuspüren. Die Möglichkeit, daß jemand etwas so Primitives wie eine Pistole mit chemischer Treibladung benutzen könnte, wäre ihnen niemals in den Sinn gekommen.
Mit reglosem Gesicht hob Honor die Pistole in einer fließenden, geschmeidigen Bewegung, dann dröhnte der abrupte, ohrenbetäubende Donner des ersten Schusses durch die Kabine wie der Hammer Gottes. Der Leibwächter namens Allen hatte das Schrapnellgewehr schußbereit, aber er war bereits tot, bevor er den Abzug hätte betätigen können; das fünfzehn Gramm schwere Hohlspitzgeschoß durchschlug seine Stirn. Vom Abschußknall geschockt, verharrte jeder der Freibeuter für einen tödlichen Sekundenbruchteil und war unfähig, sich zu rühren. Der zweite Leibwächter hatte sich noch nicht einmal bewegt, als die Pistole erneut losbrüllte.
Der Mann wurde aus dem Sitz gehoben und bespritzte das Schott – und André Warnecke – mit graugeflecktem Rot. Honor sprang auf und hielt die Pistole mit beiden Händen auf die beiden Überlebenden gerichtet.
»Ende der Fahnenstange, Mr. Warnecke«, sagte sie. Ihre Augen schienen aus braunem Feuerstein gehauen zu sein. Sie mußte laut sprechen, um trotz des Klingelns in ihren Ohren die eigene Stimme hören zu können, und lächelte, als der Freibeuter sie fassungslos anstarrte. »Stehen Sie auf und entfernen Sie sich von dem Sender.«
Die Augen weit aufgerissen, schluckte Warnecke heftig und begriff, daß er am Ende doch noch einen Menschen kennengelernt hatte, der tödlicher war als er. Erschüttert nickte der Massenmörder und wollte sich erheben. In diesem Augenblick machte der Pilot einen Hechtsprung zu dem Schrapnellgewehr, das auf dem Boden lag, und zweimal donnerte der schreckliche, in den Ohren schmerzende Knall der.45er durch die Kabine. Beide Schüsse trafen den Piloten, jedoch nicht in den Kopf, und so wand er sich über eine Viertelminute schreiend auf dem Deck, bevor er starb. Blut rann ihm aus dem Mund. Ohne mit der Wimper zu zucken, richtete Honor die Waffe wieder auf Warneckes Stirn, bevor der Freibeuter auch nur daran denken konnte, seinen Pulser zu ziehen.
»Aufstehen«, befahl sie wieder, und er gehorchte. Als er sich von dem Sender entfernt hatte, machte Honor eine Kopfbewegung zu LaFollet.
Der Chef ihrer Waffenträger neigte nicht zur Sanftmut.
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