Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
ab, dann erst sprach sie ins Com. »Cockpit, wir öffnen die Luke.«
»Verstanden«, antwortete der Pilot, und die Bordmechanikerin betätigte das Tastenfeld neben der Luke. Der Kutter war ein Nutzfahrzeug und dazu gebaut, sich an die Zugangsröhren größerer Raumschiffe zu koppeln. Er besaß eine Luftschleuse, die jedoch so flach war, daß immer nur eine, allerhöchstens zwei Personen sie gleichzeitig benutzen konnten. Die innere Schleusentür fuhr auf, die Mechanikerin nickte den Passagieren zu, und Andrew LaFollet trat als erster in die enge Kammer.
Nach dem Buchstaben des Protokolls hätte eigentlich Honor den Kutter als erste verlassen müssen, da sie der ranghöchste Offizier an Bord war, und LaFollet hätte sich unter normalen Umständen dieser Konvention gefügt. Doch die pechschwarze, ausgedehnte Leere des Laderaums hatte in ihm eine instinktive Vorsicht geweckt, die seine Achtung vor den Traditionen der Navy in den Hintergrund drängte. Honor beschloß, keinen Einwand zu erheben, als er die Luke hinter sich schloß und die Schleuse zu arbeiten begann. Kaum war die Atemluft abgepumpt, fuhr die äußere Schleusentür beiseite. LaFollet trat aus der Schleusenkammer und verließ das interne Schwerefeld des Kutters; nun schwebte er dreißig Meter über dem Deck des Laderaums. Er schaltete kurz die Manövrierdüsen des Anzugs ein, und der Impuls trug ihn sanft zu den Deckplatten hinunter. Mit einem Klicken arretierten sich die Traktorfelder seiner Stiefelsohlen auf den Platten. LaFollet blieb einen Moment stehen, blickte sich um und nickte schließlich.
»Kommen Sie, Mylady«, sprach er ins Com. Honor und Nimitz stiegen in die Schleusenkammer, gefolgt von Commander Franz Schubert, dem Werftoffizier, der für die Umrüstung der Wayfarer verantwortlich war. Honor hielt den Baumkater in den Armen, während Schubert die Pumpen in Gang setzte. Sie ließ Nimitz los, als die äußere Luke sich wieder öffnete. Schubert und sie landeten beinahe gleichzeitig neben LaFollet, nur Nimitz, der den klebrigen Widerstand seiner ›Stiefelchen‹ verabscheute, blieb einen Meter über ihren Köpfen in der Schwebe. Dort trieb er mühelos umher und kontrollierte die Manövrierdüsen über seine Muskelbewegungen. Honor hörte ihn fröhlich blieken. Schon immer hatte Nimitz den freien Fall heiß und innig geliebt, und sie spürte sein Entzücken, als er mit flüssigen Bewegungen davonschwebte.
»Verflieg dich nur nicht, Stinker. Der Laderaum ist ziemlich groß«, warnte sie ihn über das Com und nahm seine beruhigende Antwort wahr. Ein leichter Schubstoß ließ ihn abwärts treiben, und er streckte die Arme aus, packte mit den geschützten Echthänden die Griffschlaufe an ihrer Anzugschulter und verankerte sich dort. Honor schaltete ihr künstliches linkes Auge auf Lichtverstärkung und schaute sich im Laderaum um. Am auffälligsten waren die kahlen Schienen, die an das Gerüst einer Startrampe erinnerten und wie ein Netz die Schotte überzogen. Honor drehte den Kopf und grinste den Baumkater an. Er verzog die Schnurrhaare, und Honor übersandte ihm eine gedankliche Ermahnung, sich nicht zu weit zu entfernen, dann wandte sie sich Commander Schubert zu. Admiral Georgides hatte Honor versichert, daß Schubert trotz seines verhältnismäßig niedrigen Dienstgrades einer seiner besten Leute sei, und was sie bisher gesehen hatte, bestätigte die hohe Meinung, die Georgides von dem Commander hatte.
»Willkommen an Bord, Mylady.« Schubert sprach mit volltönender Tenorstimme, und als er mit einer allumfassenden Armbewegung auf den gähnenden Laderaum wies, lächelte er wie ein König, der sein Reich präsentierte.
»Vielen Dank«, antwortete Honor. Schuberts Begrüßung war mehr als die höfliche Belanglosigkeit, für die ein Zivilist sie vielleicht gehalten hätte. Solange die Überholung der Wayfarer nicht abgeschlossen war, gehörte sie Vulcan , nicht Honor. Das bedeutete, daß sie im Moment noch Schuberts Schiff war, wenn man einen unbeweglichen Klumpen Stahl mit abgeschalteten Energieerzeugern und Bordsystemen denn als ›Schiff‹ bezeichnen wollte. Honor jedenfalls war hier nur zu Gast.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen?« fragte Schubert, und Honor nickte. Als er graziös davonsegelte, schaltete sie ihre Manövrierdüsen ein und schloß sich ihm an. LaFollet tat es ihr nach und hielt seine Position zu ihr, als hätte er sein halbes Leben in einem manticoranischen Raumanzug verbracht. Während Schubert weiter über das Com
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