Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
aber der diensttuende Petty Officer verehrte sie augenscheinlich.
Der Konvoi durchbrach die Alpha-Mauer und kehrte konservative fünfundzwanzig Lichtminuten vom G4-Stern Neu-Berlin entfernt in den Normalraum zurück. Die verwirbelten Muster des Hyperraums verschwanden vom Display der Außenbeobachtung. Die Hauptsonne des Andermanischen Reiches wirkte aus dieser Entfernung winzig, aber Honors W-Display war plötzlich mit Dutzenden von Impellersignaturen gesprenkelt. Die nächsten waren nur wenige Lichtminuten entfernt, und eines der Schiffe drehte mit gemächlichen zweihundert Gravos in Richtung Konvoi, nachdem es die Hyperabdrücke der Frachter überlichtschnell aufgenommen hatte.
Sekunden verstrichen, dann räusperte sich Lieutenant Cousins.
»Commander Elliot wird von einem andermanischen Zerstörer angerufen, Mylady.«
»Danke.« Honor drückte eine Taste, die ihren Ohrhörer in die Verbindung schaltete, und hörte den Routinesendungen zwischen dem Andermaner und Elliots Linnet zu. Das Vorpostenschiff schloß weiter auf, bis es sich mit seinen Ortungsgeräten vergewissert hatte, daß Elliots Beschreibung ihrer Schützlinge stimmte, dann drehte es mit einer höflichen Begrüßung ab und kehrte auf seine ursprüngliche Position zurück. Honor erschien dieses Verhalten unfaßbar blasiert, aber das lag zweifellos daran, daß Manticore im Kriegszustand lag und im Anderman-Reich Frieden herrschte.
Der Konvoi beschleunigte systemeinwärts, in Richtung der Orbitallager und Frachtumschlagstationen rings um den Hauptplaneten Potsdam. Dutzende von Kriegsschiffen erschienen auf den Sensordisplays, darunter Signaturen, die ganz nach drei kompletten Schlachtgeschwadern aussahen, die Übungen abhielten. Honor verspürte ein melancholisches Verlangen. Die Kaiserlich-Andermanische Weltraumflotte war zwar kleiner als die RMN, technisch aber reichte sie näher an die manticoranischen Standards heran als die meisten anderen. Honor wünschte, der Herzog von Cromarty hätte die Andermaner zum Kriegseintritt auf manticoranische Seite bewegen können. Schließlich und endlich wäre nach dem Fall Manticores das Anderman-Reich der nächste Eintrag auf der havenitischen Liste unerledigter Eroberungen. Unterstützung durch die vorzüglichen andermanischen Kriegsschiffe mit ihren gut ausgebildeten Besatzungen wäre für die Allianz von unermeßlichem Wert gewesen.
Doch das Haus Anderman dachte anders darüber. Genauer gesagt schien der gegenwärtige Kaiser, Gustav XI., nicht in den Krieg eintreten zu wollen, solange nicht etwas für ihn dabei heraussprang. Das lag den Andermans offenbar im Blut. Generationen von Kaisern hatten ihre Grenzen immer weiter ausgedehnt, und zwar immer in Krisengebiete, eine Methode, die mit der Zeit zur altehrwürdigen Tradition geworden war. Gustav XI. beabsichtigte ohne Zweifel der Tradition zu folgen. Bisher hatte Manticore ohne Hilfe durchgehalten, aber offensichtlich hoffte Gustav darauf, daß Manticore irgendwann so dringend einen Verbündeten benötigte, daß es bereit war, in Silesia gewisse Konzessionen zu machen, um sich die Hilfe der kaiserlichen Flotte zu erkaufen. Honor beurteilte diese Haltung als recht kurzsichtig, aber vielleicht war es unrealistisch, von einem Anderman etwas anderes zu erwarten. Immerhin besaß das Reich noch eine weitere Tradition: Wenn es einmal für jemanden Partei ergriff, dann blieb es bis zum Ende dabei.
Vielleicht kann man gar nichts anderes erwarten, überlegte sie. Schließlich war Gustav Anderman ein Söldner gewesen – einer der Besten seines Fachs –, bevor er beschloß, mit seinem eigenen Reich in den Ruhestand zu gehen. Offenbar hatten dessen Nachkommen seine Denkart geerbt. Am erstaunlichsten war dabei der enge Zusammenhalt des Reiches. Im Laufe der letzten sechs oder sieben Jahrhunderte hatten Dutzende von Kriegsherren Westentaschenimperien errichtet, aber nur die Anderman-Dynastie hatte Bestand. Denn welche Fehler die Familie auch haben mochte, sie brachte fähige Herrscher hervor. Einige davon waren allerdings schon recht merkwürdige Charaktere gewesen, allen voran der Reichsgründer Gustav I.
Gustav Anderman war fest davon überzeugt gewesen, die Reinkarnation Friedrichs des Großen von Preußen zu sein; so überzeugt, daß er in einem Kostüm aus dem vierten Jahrhundert vor der Diaspora herumlief. Niemand lachte darüber – ein guter militärischer Befehlshaber konnte sich etliche Marotten leisten –, aber normal war dieses Verhalten wohl nicht.
Weitere Kostenlose Bücher