Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
Dann war da Gustav VI. gewesen. Seine Untertanen hatten es noch hingenommen, als er begann, sich mit seinem preisgekrönten Rosenstrauch zu unterhalten, aber als Gustav den Strauch zu seinem Kanzler ernennen wollte, war die Lage ein wenig außer Kontrolle geraten. Selbst für Andermaner war dies ein bißchen zu starker Tobak, und man entledigte sich unauffällig des Kaisers. Seine Beseitigung erzeugte allerdings Folgeprobleme – Thronfolgeprobleme. Die Reichscharta sah vor, daß der Thron nur an männliche Nachkommen vererbt werden konnte. Nun war Gustav VI. der einzige Sohn seiner Eltern gewesen und kinderlos geblieben, aber es lebte noch ein halbes Dutzend Cousins, so daß sich ein vertrackter Erbfolgekrieg zusammenbraute. Gustavs älteste Schwester machte unter Zuhilfenahme einer juristischen Fiktion aller Torheit ein Ende: Sie ließ sich von der Reichsversammlung zum Mann erklären, krönte sich als Gustav VII. zum Kaiser, erlangte so den Oberbefehl über die Heimatflotte und forderte ihre männlichen Verwandten auf, doch zu tun, was sie nicht lassen könnten. Kein einziger nahm die Gelegenheit wahr. Und für weitere achtunddreißig T-Jahre saß sie als »Seine Majestät Kaiser Gustav VII.« auf dem Thron. Sie erwies sich als einer der besten Herrscher, die das Kaiserreich je besessen hatte, und das wollte einiges heißen.
Eine Monarchie nach Schema F ist das Reich ganz bestimmt nicht , dachte Honor ironisch. Trotz gelegentlicher Eigenarten hatte das Haus Anderman seinem Volk immer gut gedient. Zum einen waren die Andermans so klug, ihren diversen Eroberungen ein großes Maß an lokaler Autonomie zuzugestehen, und bewiesen immer wieder ein beachtliches Gespür darin, sich Sonnensysteme herauszupicken, die ohnehin schon aus dem einen oder anderen Grund in Schwierigkeiten steckten. Wie zum Beispiel die Republik Gregor im System von Gregor B: Das Regierungssystem war bereits unter der Last eines blutigen Bürgerkriegs zusammengebrochen, als die kaiserliche Flotte einmarschierte und den Frieden erklärte. Diese Neigung, Eroberte vor einem furchtbaren Schicksal zu ›erretten‹, ging bis auf Gustav I. und Potsdam zurück.
Bevor Gustav Anderman und seine Flotte in das System einmarschierte, war der spätere Planet Potsdam nach der chinesischen Gottheit der Gnade, Kuan Yin, getauft gewesen. Dadurch gehörte er zu den ironischsten Planetennamen überhaupt, denn die chinesischen Kolonisten des Planeten saßen in einer Falle, die ebenso tödlich war wie jene, welche die Vorfahren der Graysons fast das Leben gekostet hätte.
Wie auch die ursprünglichen manticoranischen Siedler hatten die Kolonisten Kuan Yins Alterde verlassen, bevor das Warshawski-Segel den Hyperraum so sicher machte, daß auch Kolonistenschiffe ihn bereisen konnten. Im Kälteschlaf waren sie jahrhundertelang gereist, nur um nach der Ankunft festzustellen, daß die Vermessung eine Kleinigkeit am Ökosystem ihrer neuen Heimat übersehen hatte; ein Detail der Mikrobiologie: Kuan Yins Erdreich enthielt alle Mineralien und Nährstoffe, die irdische Pflanzen benötigten, aber die einheimischen Mikroorganismen bewiesen einen unbändigen Appetit auf terranisches Chlorophyll und vernichteten jede Ernte. Die Mikroorganismen beeinträchtigten weder die Kolonisten selbst noch die irdischen Tierarten, die sie mitgebracht hatten, doch von der einheimischen Vegetation konnte sich kein irdisches Wesen ernähren, terranische Feldfrüchte ließen sich fast gar nicht anbauen, und die Erträge waren minimal. Irgendwie gelang es den Kolonisten zu überleben, indem sie endlos auf den Feldern schufteten, aber einige Grundnahrungspflanzen waren vollkommen ausgelöscht worden. Dadurch ergaben sich furchtbare Mangelerscheinungen, und die Kolonisten fochten einen Krieg gegen die Mikrobiologie ihres Planeten, den sie nicht gewinnen konnten. Am Ende hatten sie im wahrsten Sinne des Wortes so viel an Boden verloren, daß sie nicht mehr bloß am Rand des Aussterbens standen, sondern bereits viele Tote zu beklagen hatten, und sie vermochten nichts dagegen zu unternehmen. Daher begrüßten sie die Eroberung ihrer Welt durch Anderman geradezu wie eine Hilfsexpedition.
Keine von Gustav Andermans Eigenarten stand seiner Befähigung als Verwalter im Wege, und er besaß ein außerordentliches Talent, Probleme begrifflich zu erfassen und Lösungen zu finden. Außerdem verfügte er über die Gabe – welche anscheinend die meisten seiner Nachkommen geerbt hatten –, die Talente anderer
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