Honor Harrington 7. In Feindes Hand
bedacht, sein Verhalten mit den passenden Platitüden über Dienst am Volke zu verbrämen, doch seine besonders widerliche Ausprägung des Nepotismus und die Art, wie er eine Fraktion seiner Besatzung gegen die andere ausspielte, drehte Theisman den Magen um. Außerdem war Vladovichs Verhalten ausgesprochen dumm und kurzsichtig. Der Kerl glaubte wahrscheinlich, sein stolzer Schlachtkreuzer würde niemals wie ein gewöhnliches Flottenschiff ins Gefecht geschickt werden, doch wenn es jemals dazu kam, dann würde er feststellen, daß er eine gefährlich unausgewogene Waffe führte. Ein Kommandant, der den einen Teil seiner Besatzung dem anderen auf den Hals hetzte, ging mit zwei auf den Rücken gebundenen Händen in den Kampf. Der Mangel an Zusammenhalt würde im Ernstfall seine Besatzung lähmen, und Vladovich schien nicht einmal das begriffen zu haben.
Im Moment allerdings, wie er so dastand und mit Ransom schwatzte, wirkte er wie der perfekte Schlachtkreuzerkommandant – wenn man von der schwarz-roten SyS-Uniform absah. Die HD-Teams, die jeden Augenblick des Tages aufzeichneten, würdigte er keines Blickes. Ransom kehrte den Fenstern und dem Shuttlelandeplatz dahinter den Rücken zu, eine betonte Zurschaustellung ihres Desinteresses. Theisman biß die Zähne zusammen. Bei jemandem, der über weniger Macht verfügte, hätte solche Theatralik amüsant gewirkt, kauzig vielleicht; an Cordelia Ransom wirkte sie furchterregend. Denn sie war alles andere als machtlos, und ihre Körpersprache verkündete eine Botschaft. Sie hätte ihre Mißachtung der Gefangenen nicht so offensichtlich gemacht – nicht vor laufenden Kameras –, wenn sie beabsichtigt hätte, den Alliierten in irgendeiner Weise mit Anstand zu begegnen. Und Vladovichs erwartungsvolles Grinsen bekräftigte Theisman in seinen Befürchtungen.
Er wandte sich von den beiden ab und blickte aus dem Fenster, um zu beobachten, wie die gefangenen Manticoraner und Graysons den Shuttle verließen und grob in eine Reihe gestellt wurden. Die Wächter führten sie über das Vorfeld des Landeplatzes zur Terminal-Rolltreppe, und Theisman kniff die Augen zusammen, als er die Frau an der Spitze der Gefangenen erkannte. Ihre hochgewachsene, athletische Gestalt hätte er auch dann erkannt, wenn sie nicht den grau und cremefarben gesprenkelten Baumkater in den Armen gehalten hätte. Er holte tief Luft, als er den breitschultrigen Captain Senior-Grade hinter ihr erkannte. Alistair McKeon. Ein weiterer Manticoraner, den Thomas Theisman kannte und an dessen guter Meinung ihm gelegen war. Was würde McKeon nach diesem Tag von ihm halten? Theisman war an der Malaise nicht schuld und verspürte ein neues, schreckliches Aufflammen seiner Wut – die sich diesmal ebenso gegen Harrington und McKeon wie gegen Ransom richtete. Er wußte, daß seine Wut jeder rationalen Grundlage entbehrte, doch konnte er sich nicht dagegen wehren. Harrington und McKeon würden ihn verurteilen, wie er bei vertauschten Rollen sie verurteilt hätte. Nur Verachtung würden sie für ihn empfinden, wie er an ihrer Stelle auch. Doch hatten sie nie in einem solchen Zwiespalt gesteckt wie Theisman: Er war gefangen, hin und hergerissen zwischen der eigenen Selbstachtung und dem Pflichtgefühl gegenüber einer Sternennation, die Wahnsinnigen in die Hände gefallen war. Sie konnten ihn nicht verstehen – wie auch!
Thomas Theisman fragte sich, weshalb so wenige unterdrückerische Regimes begriffen, daß sie die Rebellen selbst hervorbrachten, von denen sie am Ende gestürzt wurden. Wie konnte eine Cordelia Ransom oder ein Robert Pierre so etwas übersehen, nachdem sie selbst sich eben diese Blindheit der Legislaturisten zunutze gemacht hatten?
Die Einzelreihe der Gefangenen erreichte das obere Ende der Rolltreppe, und Theisman unterbrach abrupt seinen Gedankengang, weil einer der SyS-Leute Harrington zu der ausgedehnten VIP-Lounge umdrehte, wo Ransom und die – freiwilligen wie unfreiwilligen – Angehörigen ihres Hofstaats warteten. Der Wächter benutzte dazu den Kolben seines Schrapnellgewehrs nicht allzu sanft. Theisman sah die Wut auf McKeons Gesicht, als der Gewehrkolben gegen Harringtons Schulter prallte. McKeons Haß war indes längst nicht so furchterregend wie das völlig ausdruckslose Gesicht des Mannes neben ihm, der eine grüne Uniform trug. Der Schnitt der Uniform wies ihn als Grayson aus, also war er wohl einer der ›Marines‹, bei denen es sich offenkundig um Harringtons Waffenträger handelte
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