Honor Harrington 7. In Feindes Hand
Lethridge auch hatte, als Astrogator zählte er zu den besten seines Faches und erfaßte Kurse und Reisezeiten mit einer eleganten Leichtigkeit, um die Honor ihn nur beneiden konnte.
Sie betrachtete ihn, wie er vor seinem Display die Vektoränderungen verfolgte, während er mit den Eingabewerten und Variablen spielte. Merkwürdig, dachte sie, wie oft die äußere Erscheinung täuschen kann. Unter allen Offizieren ihres Stabes war der grobschlächtige Astrogator mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der sanftmütigste – obwohl er sich sehr anstrengte, diese Tatsache zu verbergen.
Das Zischen, mit dem sich die Lifttüren öffneten, lenkte Honor von Lethridge ab. Als der leitende Sanitätsoffizier des Geschwaders auf die Flaggbrücke trat, lächelte sie voller Zuneigung. Surgeon Commander Fritz Montaya war der Schiffsarzt der Alvarez und gehörte strenggenommen nicht ihrem Stab an, doch hatte sie ihn eigens für die Verwendung auf der Alvarez angefordert und ließ ihn an den Stabsbesprechungen teilnehmen.
Eigentlich hätte ein Arzt mit seiner Erfahrung und seinem Können im Sternenkönigreich zum leitenden Personal eines der großen Flottenhospitäler gehören oder auf einem der fürstlich ausgestatteten Lazarettschiffe dienen sollen, die zu den Beischiffen der Flotte zählten. Einige Flaggoffiziere hatten sich vielleicht gewundert, wieso Montaya nicht auf einem dieser sicheren Druckposten saß, und gezögert, ihn in ihr Geschwader zu holen, um nicht im Nachhinein feststellen zu müssen, daß es einen triftigen Grund gab, warum niemand anders ihn hatte haben wollen. Honor kannte Montaya nun schon seit über zwölf T-Jahren … und wußte, daß er sich, seitdem sie das letzte Mal zusammen gedient hatten, eifrig und systematisch bemühte, die Beförderung zum Captain zu vermeiden, denn dieser Rang hätte für ihn jede Verwendung als Schiffsarzt endgültig unmöglich gemacht und ihm einen Posten an einem Basishospital oder auf einem Lazarettschiff eingehandelt. Honor bezweifelte, daß seine Abwehr des vierten Ärmelstreifens noch lange erfolgreich bleiben konnte. Aber jetzt hatte sie ihn sich erst einmal gegriffen und beabsichtigte nicht, ihn so schnell wieder gehen zu lassen – ganz egal, was BuPers davon hielt. Fritz Montaya war einer der besten Ärzte der Flotte (was Honor aus schmerzhafter persönlicher Erfahrung bestätigen konnte), und zwischen ihm und ihr bestand ein Band der Freundschaft. Sein Offizierspatent war auf den Sanitätsdienst beschränkt, und gerade weil er außerhalb der normalen Hierarchie stand, besaß er eine gewisse distanzierte Perspektive, die zu berücksichtigen sich schon in der Vergangenheit als sehr nützlich erwiesen hatte.
Der extrem junge Lieutenant Commander, der Montaya auf die Brücke begleitete, war der letzte manticoranische Angehörige von Honors Stab. Der schmale dritte Ärmelstreifen an seiner Uniform war so neu, daß er vermutlich noch knisterte. Honor kannte Scotty Tremaine, seit er ein Ensign gewesen war. Trotz ihrer tiefverwurzelten Abneigung gegenüber allem, was Protektion auch nur im entferntesten ähnelte, hatte sie stets mit einem aufmerksamen Auge über seine Laufbahn gewacht. Das betrachtete sie als Schuldbegleichung gegenüber der Navy – für Offiziere wie ihren ersten Kommandanten oder Admiral Courvosier, die über ihre Karriere eine schützende Hand gehalten hatten. Hinter Tremaines unbekümmerter Fassade verbarg sich ein überaus befähigter Geistesarbeiter, und deshalb war Honor sehr froh, ihn als Elektronikoffizier beim Stabe bekommen zu haben. Ihm persönlich widerstrebte die neue Aufgabe ein wenig – nicht der Dienst in ihrem Stab, sondern die Position. Tremaine war zuallererst ein Beibootspezialist, der sich zum Hangar- oder Flugleitungsoffizier eines LAC-Geschwaders berufen fühlte. Dort war ihm am behaglichsten, und er hätte es vorgezogen, dabei zu bleiben – und genau deswegen hatte Honor ihn für die neue Verwendung angefordert. Tremaine würde es guttun, sich ein wenig auf Neues einzustellen und sich mit Dingen zu beschäftigen, die jenseits seiner geliebten Beiboote lagen. Die Erfahrung würde ihm auf der Leiter nach oben weiterhelfen, und seine rasche Auffassungsgabe würde entscheidend dazu beitragen, daß er – und Honor – die Rahmenbedingungen seiner Position eindeutig formulieren konnten.
Sie waren nicht die einzigen RMN-Offiziere, die sich mit diesem besonderen Problem auseinanderzusetzen hatten. Und Honor wußte genau, daß
Weitere Kostenlose Bücher