Honor Harrington 8. Die Siedler von Sphinx
erhielt bei seiner Ankunft den vollen Kredit angerechnet; wer das nicht konnte, erhielt die Differenz zwischen der Summe, die er selbst aufbringen konnte, und der Passage vom MCT, doch bei Ankunft fiel die Anrechnung entsprechend niedriger aus. Gleichzeitig konnte ein Immigrant, der über mehr Mittel verfügte, als seine Passage kostete, seinen Überschuss investieren. Dann zahlte er nur den halben Nennwert für zusätzliches Land oder Beteiligungen. Die wohlhabendsten Immigranten wurden dadurch zu ›Zweiten Anteilseignern‹ deren Güter (ob in Begriffen von Landbesitz oder Industriebeteiligungen) in einigen Fällen mit denen der Ersten Anteilseigner mithalten konnten. Dadurch erhielten sie ebenfalls Anspruch auf Adelsbriefe, waren indes rangjünger als die existierende Aristokratie.
Die Immigranten, die ihre Passage zumindest zum Teil bezahlt hatten oder sogar noch ein wenig Überschuss einbrachten, wurden zu ›Freisassen‹, freien Landbesitzern, und erhielten ein manticoranisches Jahr (1,73 Erdstandardjahre) nach ihrer Ankunft das Stimmrecht. Wer hingegen seinen Kredit erschöpfte, um die Fahrt nach Manticore zu bezahlen, hieß ›Überschussloser‹ und erhielt erst in dem Moment die vollen Bürgerrechte, in dem er so weit Fuß gefasst hatte, dass er fünf aufeinanderfolgende manticoranische Jahre lang Steuern bezahlte (8,7 Erdstandardjahre). Während vor dem Gesetz alle manticoranischen Bürger ungeachtet des Wahlrechts schon immer gleich gewesen sind, existierten von Anfang an ausgeprägte soziale Unterschiede zwischen Anteilseignern, Freisassen und Überschusslosen, und noch heute ist der direkte Nachkomme eines Freisassen angesehener als der eines Überschusslosen; am privilegiertesten sind freilich die Nachkommen eines Anteilseigners.
Im Laufe der nächsten fünfhundert Jahre gedieh die Kolonie; das Sternenkönigreich war mit einer Reihe starker Monarchen gesegnet, und die Bevölkerung wuchs beständig. Die Verfassung enthält eine starke Erklärung der Grundrechte, doch die Bürgerrechte sind auf Bürger beschränkt, die in den letzten fünf aufeinanderfolgenden Jahren Steuern bezahlt haben. Fünfzig Jahre nach seiner Einführung wurde der Anreiz zur Einwanderung wieder abgeschafft, denn er hatte seinen Zweck erfüllt. Fortan war es für einen Immigranten nicht mehr möglich, auf der Stelle zum Anteilseigner zu werden oder das Bürgerrecht unmittelbar nach der Ankunft zu erhalten.
Die Verfassung schuf ein Zweikammersystem, einen Königlichen Rat und eine Kronrichterschaft. Das Parlament besteht aus einem Oberhaus und einem Unterhaus, die beide über ein Vetorecht verfügen; die Krone hat sowohl das Recht, Vorschläge einzubringen als auch ein Veto einzulegen. Einigen Verfassungsrechtlern zufolge (allerdings nicht allen) beabsichtigten die Gestalter der Verfassung, die Exekutivgewalt vom Königlichen Rat ausüben zu lassen. Nach dem Gesetz besteht der Rat aus dem Premierminister, seinen Ministern und verschiedenen erblichen Mitgliedern wie dem Siegelbewahrer, dem Thronerben (als nicht stimmberechtigtem Mitglied) und dem Monarchen. Tatsächlich aber wurde der Königliche Rat (den man heute normalerweise als Kabinett bezeichnet) zu dem Instrument, durch das der Monarch sowohl als Regierungs- wie auch als Staatsoberhaupt tätig wird. Der Premierminister, der traditionsgemäß aus dem Oberhaus kommt, führt zwar den Vorsitz im Kabinett, doch kann der König oder die Königin ihn entlassen. Faktisch wirkt der Premierminister als Vertreter des Monarchen. Gleichzeitig müsste der Monarch schon sehr töricht oder starrsinnig sein, um den Rat der Minister und besonders den des Premierministers in den Wind zu schlagen.
Die Krone behält sich das Recht vor, zu begnadigen oder eine Strafe umzuwandeln, sie ernennt auf Vorschlag und mit Zustimmung des Oberhauses Minister und Richter, und solange sie nicht von einer Mehrheit beider Kammern überstimmt wird, besitzt sie die Macht, die Verfassung durch die Richter auslegen zu lassen, die sie in die King’s oder Queen’s Bench, das oberste Gericht, berufen hat. Jedoch kann die Krone nicht ohne mehrheitliche Zustimmung des Unterhauses neue Peers ernennen.
Tritt der Fall ein, dass zwischen der Krone und beiden Kammern des Parlaments eine unausräumbare Meinungsverschiedenheit besteht, so dient das Oberhaus als Schiedsgericht, ohne dass Unterhaus oder Krone gegen seine Entscheidung Veto einlegen können. Die Machteinflüsse der breiten Bevölkerung liegen darin, dass
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