Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
–«, brauste Ramirez auf, und Honor schnitt ihm das Wort ab.
»Lassen Sie mich ausreden, Commodore!«, sagte sie scharf, und er verstummte. »Wie gesagt, muss ich die Deneber Übereinkünfte beachten, aber wenn ich mich richtig erinnere, dann sehen sie ausdrücklich Strafmaßnahmen gegen jeden vor, der sie verletzt. Man hat sich dabei nur an die Bestimmungen zu halten. Ich weiß, diese Klausel wird zumeist dahingehend interpretiert, dass jede Verletzung nach Ende der Feindseligkeit vor einem zivilen Gericht untersucht werden soll. Wir befinden uns jedoch im Krieg – und ich bin sicher, dass sich auf Hell genügend Offiziere aus sehr vielen unterschiedlichen Streitkräften finden, um ein ordentliches Kriegsgericht aufzustellen.«
»Ein Kriegsgericht?«, wiederholte Ramirez, und Honor nickte.
»Ganz genau. Seien Sie sich bitte im Klaren, dass jedes Gericht, das unter meinem Befehl aufgestellt wird, nur dies und nichts anderes sein wird: ein Gericht, vor dem alle gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden – einschließlich der Rechte der Angeklagten. Einen Schuldspruch vorausgesetzt, wird ein Urteil verhängt, wie es von den zutreffenden Gesetzen vorgesehen ist. Wir werden uns wie zivilisierte Menschen benehmen, und wir werden Verbrechen ahnden und nicht mit eigenen Greueltaten beantworten.«
»Ich verstehe. Sind das Ihre einzigen Bedingungen?«, fragte Ramirez.
»So ist es, Sir«, antwortete Honor fest.
»Gut«, sagte er ruhig, und sie hob die Augenbrauen. »Sie müssen eines wissen. Von uns hat kaum jemand zu hoffen gewagt, dass diese Menschen jemals eine faire, unparteiische Verhandlung bekommen würden«, erklärte er, als könnte er trotz der Dunkelheit sehen, wie überrascht sie war. »Wir haben geglaubt, dass niemals jemand für uns sprechen würde, dass niemand die Schwarzbeine und ihre Vorgänger zur Verantwortung ziehen würde für die Vergewaltigungen und die Morde, die sie auf diesem gottverlassenen Stück Hölle begangen haben. Sie geben uns die Chance dazu, Commodore Harrington, und das wird uns Belohnung genug sein, auch wenn wir diesen Planeten nie wieder verlassen und die SyS zurückschlägt und uns alle tötet. Doch angenommen, wir überleben, dann möchte ich in zehn Jahren in den Spiegel blicken und den Mann mögen können, der mir daraus entgegenblickt. Das könnte ich nicht, wenn Sie zulassen, dass ich mit diesen mutterlosen Bastarden anstelle, was ich möchte.«
Honor stieß langsam ein tiefes Seufzen der Erleichterung aus, denn seine Gefühle passten zu seinen Worten. Er meinte es wirklich ernst.
»Aber werden die anderen Gefangenen hier auf Hell mit Ihnen einer Meinung sein?«, fragte sie dann.
»Wahrscheinlich nicht alle«, gab er zu. »Doch wenn Ihr Vorhaben gelingt, dann verfügen Sie auch über die moralische Autorität, sie bei der Stange zu halten. Und wenn nicht«, seine Stimme klang nun kalt, doch er sprach weiter, ohne innezuhalten, »dann besitzen Sie noch immer die Waffen und die einzige Möglichkeit, den Planeten zu verlassen. Das sollte eigentlich genug Anreiz für die meisten von uns sein, Ihre Befehle zu befolgen und die Schwarzbeine am Leben zu lassen, ganz gleich, wie sehr wir sie hassen.«
»Das leuchtet mir ein. Darf ich also davon ausgehen, dass Sie dabei sind, Commodore Ramirez?«
»Das dürfen Sie, Commodore Harrington.« Eine Hand von der Größe eines Spatenblatts schob sich aus der Schwärze, und Honor drückte sie fest. Sie spürte ebenso die Stärke dieser Hand wie die Entschlossenheit und die Aufrichtigkeit des Menschen, dem sie gehörte.
BUCH DREI
15
»Vielen Dank für Ihr Erscheinen, Bürger Admiral. Und Ihnen auch, Bürgerin Kommissar.«
»Es ist mir ein Vergnügen, Bürgerin Minister«, erwiderte Bürger Admiral Javier Giscard liebenswürdig, als stünde es ihm frei, eine ›Einladung‹ durch die Kriegsministerin der Volksrepublik Haven nach Gutdünken abzulehnen. Eloise Pritchart, seine dunkelhäutige, platinblonde Volkskommissarin, begnügte sich mit einem Nicken. Als Repräsentantin des Komitees für Öffentliche Sicherheit in Giscards Stab (Spion wäre viel zu grob und zu offen ausgedrückt gewesen) stand sie technisch außerhalb der militärischen Befehlskette und war nicht Esther McQueen, sondern Oscar Saint-Just und dem Amt für Systemsicherheit untergeordnet. Im Moment aber stieg McQueens Stern unaufhaltsam, und Pritchart wusste das so gut wie jeder andere. Allerdings war ihr auch zu Ohren gekommen, dass McQueen
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