Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
die Grenzen ihrer persönlichen Autorität stets bis ans Äußerste auslotete. Deshalb sprach aus Pritcharts topasfarbigen Augen eine Vorsicht, die McQueen mit großem Interesse registrierte.
Mit einer Handbewegung wies die Kriegsministerin ihren Besuchern Sessel an und mied dabei bewusst den Blick ihres eigenen Wachhundes von der SyS. Erasmus Fontein war nun schon fast so lange ihr politischer Vormund, wie das Harris-Attentat zurücklag, und erst in den letzten zwölf Monaten hatte sie bemerkt, dass er erheblich fähiger – und mithin gefährlicher – war, als sein unscheinbares Äußeres glauben machte. Wirklich unterschätzt hatte McQueen ihn zwar nie, aber …
Nein, das stimmte nicht. Gewusst hatte sie, dass er eigentlich ein wenig fähiger sein musste, als er vorgab, doch das wahre Ausmaß seiner Tüchtigkeit hatte sie nicht erahnt.
Nur ihre Gewohnheit, stets Vorkehrungen für den schlimmstmöglichen Fall zu treffen und ihre Nachrichtenverbindungen nicht doppelt, sondern dreifach abzusichern, hatte verhindert, dass ihre Fehleinschätzung fatale Folgen nach sich zog. Und natürlich der Umstand, dass sich in der ganzen Volksrepublik niemand fand, der für ihren Posten besser geeignet gewesen wäre als sie. Andererseits wusste Fontein nun seit dem Aufstand der Leveller, dass sie sogar noch gefährlicher war, als er ohnehin geglaubt hatte, und so lagen sie wohl Kopf an Kopf. Dass der Chef der Systemsicherheit Fontein nicht ersetzt hatte, als das Ausmaß seines Irrtums deutlich wurde, verriet einiges über das Vertrauen, das Saint-Just in den Mann setzte.
Wenn Fontein andererseits vor der Erhebung LaB?ufs empfohlen hätte, mich zu beseitigen, dann gäbe es heute kein Komitee für Öffentliche Sicherheit mehr. Wie man diese Entscheidung wohl getroffen hat? Bekam er, nachdem ich meine ›Loyalität‹ zum Komitee bewies, Punkte gutgeschrieben, weil er mich für ungefährlich gehalten hat und mir dadurch mein Eingreifen erst ermöglichte? Oder weil er mich unterstützt hat, als ich gegen diese übergeschnappten Leveller vorgegangen bin? Oder war es nur Tünche?
Sie lachte leise. Dass man sie und Fontein wieder zusammengetan hatte, hatte wohl eher einen anderen Grund: Man nahm an, dass er ihre Schliche kannte und sich, gerade weil McQueen ihn schon einmal hereingelegt hatte, von ihr kein zweites Mal täuschen ließe. Nicht dass es wirklich wichtig gewesen wäre. Sie hatte ihre Pläne mit Bürger Kommissar Fontein, und sie zweifelte nicht, dass er ebenfalls schon überdacht hatte, was er tun wollte, wenn sie versehentlich die Karten zu früh auf den Tisch legte.
Na, wenn das Spiel einfach wäre, dann könnte jeder mitspielen, und was würde dann für ein Gedränge herrschen!
»Ich habe Sie hierher gebeten, Bürger Admiral«, sagte sie, als der Besuch Platz genommen hatte, »weil ich mit Ihnen ein neues Unternehmen besprechen will. Eine Operation, von der ich glaube, dass sie eine entscheidende Wende im Kriegsgeschehen herbeiführen könnte.«
Sie schwieg und blickte nur Giscard an, womit sie Pritchart und Fontein vom Gespräch ausschloss. Diese Verhaltensstrategie gehörte zu einem anderen Spiel, in dem man vorgab, dass noch immer Admirale die Flotten kommandierten, auch wenn jeder wusste, dass heutzutage einzig das Komitee die Befehle gab. Allerdings gedachte McQueen, daran einiges grundlegend zu ändern – und auch an so manch anderen Dingen. Giscard konnte von ihren Absichten nichts wissen, doch selbst wenn es so wäre, hätte er seiner Ministerin kaum Aussicht auf Erfolg eingeräumt.
Giscard erwiderte ihren Blick, ohne auch nur Pritchart anzusehen, und neigte den Kopf zur Seite. Er war groß, knapp über 1,90 Meter, aber schlank, sein Gesicht knochig, seine Nase gleich unter der Wurzel gekrümmt. Dieses Gesicht war die perfekte Maske, um Gedanken dahinter zu verbergen; seine haselnussbraunen Augen indes sprachen Bände. Er betrachtete McQueen aufmerksam, wachsam, mit der Vorsicht eines Mannes, der nur knapp dem Verderben entronnen war, nachdem man ihm zum Sündenbock für den Fehlschlag einer Operation gemacht hatte, die ebenfalls ›eine entscheidende Wende im Kriegsgeschehen herbeiführen‹ sollte.
»Einer der Gründe, weshalb unsere Wahl auf Sie fiel«, fuhr McQueen fort (kaum ein Herzschlag war vergangen), »ist Ihre Erfahrung im Handelskrieg. Ich weiß, dass Ihr Unternehmen in Silesia nicht erwartungsgemäß verlaufen ist, doch daran trifft Sie keine Schuld. Diese Ansicht habe ich Bürger
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