Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
habe. Als das Update für das fragliche Manöver hereinkam, war Kelly mit der Neuberechnung der Beschleunigungswerte beschäftigt, deshalb übernahm ich den Computer und gab die Änderungen ein. Und dabei muss ich mich dann vertippt haben, denn als wir an den Wegpunkt für die Kehre kamen, wendete die Computersteuerung uns um hundertachtzig Grad in die falsche Richtung.«
»Und das ist das Resultat«, gab Harmon ihm nickend Recht.
Commander McGyver ließ das Hologramm weiterfahren, ohne dass sie ihn eigens dazu auffordern musste. Effektiv fungierte er als Harmons Stabschef, nur dass das Reglement offiziell noch nicht entschieden hatte, ob ein LAC-Geschwaderkommodore einen Stab benötigte. Jeder sah nun, wie Ashfords Halbstaffel von der Minotaur abdrehte – und wie jedes LAC dieses Verbands augenblicklich in unheilvollem Zinnoberrot aufflammte, denn sie hatten die Hecköffnungen ihrer Impellerkeile dem Träger zugewandt, und die Lasercluster der Nahbereichsabwehr, die Breitseitenlaser und -graser spielten, hatten Schüsse ›in den Kilt‹ erzielt und alle sechs LACs binnen Sekundenbruchteilen ›vernichtet‹. McGyver drückte auf die Pausetaste, alle Bewegung gefror, und die ›toten‹ LACs hingen wie frische Blutstropfen im Display.
»Wenn das ein echter Angriff gewesen wäre und keine Übung«, stellte Harmon ungerührt fest, »dann hätte dieser kleine Fehler recht dauerhafte Folgen gehabt. Es hätte kein bisschen wehgetan, aber nur, weil jeder Einzelne von Commander Ashfords Leuten tot gewesen wäre, bevor er oder sie es merkte. Während einer echten Operation können wir uns so etwas nicht erlauben, Ladys und Gentlemen.«
Sie starrte alle mit harten Augen an, bis jeder mit dem Kopf genickt hatte. Dann wandte sie sich mit weicherem Blick an Ashford.
»Eins möchte ich festhalten«, sagte sie. »Commander McGyver, Commander Stackowitz und ich haben die Chips bereits eingesehen, und Ihre Vermutung zur Fehlerursache klingt einleuchtend. Es war ein langer Tag, und wir haben Sie mit Aktualisierungen und Missionsänderungen überhäuft. Bei einem echten Angriff müssen wir vermutlich nicht annähernd mit so vielen Wendungen rechnen.«
Einer oder zwei der Anwesenden nickten erneut. Übungsmissionen waren fast immer härter als die Wirklichkeit – wenn man vom Adrenalinausstoß, der Angst und dem Sterben absah. Und das war nur vernünftig. In einem echten Gefecht führte ein LAC fast immer nur einen einzigen Angriff pro Start aus – unter der Voraussetzung, das alles wie geplant verlief und man den Feind überhaupt fand. Auf Übungsmissionen wurde man höchstwahrscheinlich während eines Fluges mit mehreren unterschiedlichen ›Angriffen‹ beauftragt, und man konnte zudem eigentlich darauf zählen, dass die Planer dieser Ausbildungsflüge sich einige Mühe gaben, Überraschungseffekte einzubauen, die nur einem Zweck dienten: die Sache zum ungünstigsten Moment so kolossal wie irgend möglich durcheinander zu bringen.
Den Grund dafür verstand jeder, genauso wie ohne Ausnahme allen bewusst war, dass Harmon und ihre Geschwaderleitung von Grund auf eine völlig neue taktische Doktrin erstellen mussten und darum rücksichtsloser waren als gewöhnlich. Trotzdem hatte der eine oder andere Staffelkapitän und Halbstaffelführer sich darüber beklagt, dass sie ausgerechnet Ernest Takahashi bei der Missionsplanung beschäftigte. Zwar konnte fast jeder den jungen Lieutenant trotz seiner Großspurigkeit gut leiden, doch sein Ruf eilte ihm voraus. Die Geschichte, wie er die Flugsimulatoren von Kreskin Field manipuliert hatte, hatte sie alle hellhörig werden lassen – eine Reaktion, die sich mittlerweile leider als sehr vorausschauend erwiesen hatte.
Jacquelyn Harmon wusste genau, was ihre Offiziere dachten, und grinste inwendig. Ashford wird fuchsteufelswild, sobald seine Leute und er die Ursache des Problems begriffen haben , dachte sie. Falls sie diese Ursache überhaupt begreifen, sie sie finden. Das Finden der Ursache bildete einen weiteren Teil der Übung, ohne dass Ashford und seine Leute es bei Beginn der Suche ahnen konnten. Es war interessant zu sehen, ob sie auch den nächsten Schritt nachvollziehen konnten und das ›Wie‹, ›Warum‹ und vor allem das ›Was‹ herausfanden. Andererseits ist Ernest zu gerissen, um es ihnen allzu leicht zu machen … Sie sah den Lieutenant JG an, der keine Miene verzog, schüttelte mental den Kopf und blickte weg.
So jung und unschuldig sieht er aus, und doch wohnt
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