Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
Frauen, einschließlich der beiden Gattinnen des Protectors, trugen weit einfachere Kleider – die, wie Alexander mit geübtem Blick feststellte, dem Stil nachempfunden waren, den Honor Harrington begründet hatte. Und auch einige Männer hatten formelle graysonitische Garderobe gegen modernere Kleidung eingetauscht.
Doch besonders deutlich fiel ins Auge, dass wesentlich mehr Männer Militäruniformen trugen als Frauen. Umweltbedingt war die Bevölkerung Graysons jahrhundertelang auf einem bestimmten Niveau eingefroren gewesen, in den letzten fünfzig oder sechzig T-Jahren jedoch beständig gewachsen; im vergangenen Jahrzehnt hatte die Kurve des Bevölkerungszuwachses sich steil nach oben geschwungen. Mittlerweile näherte sich die Bevölkerungszahl der Dreimilliardengrenze, würde also schon bald die Population des Sternenkönigreichs übertreffen. Doch aufgrund der Besonderheiten in der graysonitischen Geburtenrate waren nur etwa siebenhundertundfünfzig Millionen dieser Menschen männlich. Weil seit der Besiedlung des Planeten Frauen vom Wehrdienst ausgeschlossen gewesen waren, erreichte die Personalquelle des graysonitischen Militärs nur etwa ein Viertel der manticoranischen Größe. Hinzu kam die Prolong-Behandlung, die dazu geführt hatte, dass im Sternenkönigreich ein weit größerer Bevölkerungsanteil Erwachsene waren, und so klaffte die Differenz zu Grayson noch weiter auseinander. Dennoch gehörte ein weit höherer Prozentsatz der männlichen Graysons dem wachsenden graysonitischen Militär an.
Und im Augenblick schien es, als sitze jeder Einzelne davon beim Abendessen im Großen Saal.
Die Graysons betrachten den Krieg gegen Haven aus einer anderen Perspektive als wir Manticoraner , überlegte Alexander. Hochadmiral Matthews hatte dies während der Besichtigungstour durch Blackbird mehrfach angedeutet – noch ein Gedanke, der Alexander vor seiner Reise niemals gekommen war, so naheliegend er eigentlich erschien. Auch Hamish hatte ohne Zweifel wiederholt davon gesprochen, doch bevor man diese Aussage im Geiste nachvollziehen konnte, musste man den Planeten offenbar erst selbst gesehen und – gespürt haben.
Das Sternenkönigreich hatte ein gutes halbes Jahrhundert vor Ausbruch der Feindseligkeiten mit dem Aufbau einer Flotte begonnen und Bündnisse geschmiedet, um sich für den Tag der Abrechnung zu wappnen. Den Kampf gegen Haven betrachtete man auf Manticore als unausweichlich, als existenzielle Bedrohung, gegen die man sich langfristig wappnen musste (dennoch hätte Alexander etliche Manticoraner benennen können, die aus illustren politischen Kreisen kamen und ihr Bestes getan hatten, um sich vor der Wahrheit zu verstecken). Bei Kriegsausbruch erwies sich dieses langfristige Vorwissen auf seltsame Weise als nachteilig. Fast schien es, als seien bestimmte Teile der manticoranischen Bevölkerung der Meinung, die viele Zeit, das viele Geld und die viele Mühe für die Kriegsvorbereitungen hätten irgendwie in eine Art metaphysisches Sparkonto fließen müssen, auf das man zurückgreifen konnte, damit der entfesselte Krieg nun nicht noch mehr Investitionen erforderte. Diese Menschen waren nicht etwa erschöpft, nicht ›kriegsmüde‹, jedenfalls noch nicht, aber sie wirkten – enttäuscht. All diese Zeit hatten sie darauf verwendet, um gerüstet zu sein, einer Blitzoperation zu widerstehen, wie Haven sie stets benutzt hatte, um frühere Gegner zu zerschmettern. Nun hatten sie erwartet, dass die Entscheidung ebenso schnell fallen würde wie in den früheren Feldzügen.
Und genau das war nicht eingetreten. William Alexander und Allen Summervale hatten gewusst, dass es keinen kurzen, raschen Krieg geben würde, wenn die Allianz die ersten Schläge glücklich überstand, und auch die Königin und das Militär waren sich darüber im Klaren gewesen. Sie alle hatten ihr Bestes getan, um die Öffentlichkeit auf einen langandauernden Konflikt vorzubereiten, und darin hatten sie versagt. Oder vielleicht sollte man lieber sagen, dass sie keinen Erfolg auf ganzer Linie vorweisen konnten. Genügend Menschen begriffen die Lage sehr wohl, und Alexander vermutete sehr, dass ihre Anzahl wuchs. Trotzdem plagte ihn das unangenehme Gefühl, dass der Krieg eigentlich längst hätte vorüber sein müssen, denn schließlich hatten die Royal Manticoran Navy und ihre Verbündeten doch eine havenitische Flotte nach der anderen vernichtet. Allmählich wuchs die Gefahr, dass die öffentliche Meinung plötzlich in eine
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