Honor Harrington Bd. 16
einem Blick wies er auf Berry. »Hier trifft zu, wie Berrys
Vater ihr erklärte, warum er seine Paradeuniform nicht anziehen würde. Die Königin von Manticore trifft keine Schuld an seiner Entlassung aus dem aktiven Dienst, das ist schon richtig. Aber dass sie es geschehen lässt, macht ihr dennoch keine Ehre.«
Noch immer verwirrt, wischte sich Ruth die Tränen aus den Augen und hob den Kopf von Berrys Schulter. Berry fand es beinahe komisch: Ruth Winton lag es einfach im Blut, dass jede Art von Herausforderung sie augenblicklich wachrüttelte. Zum Teufel mit euch Gefühlen - ihr könnt warten!
»Erklären Sie mir das«, befahl die Prinzessin; beinahe fuhr sie Web an. »Ich weiß nicht, was Sie mir sagen wollen.«
Web zuckte mit den Schultern. »Warum sollte mir - oder Victor Cachat - das Leben eines manticoranischen Soldaten oder reichen erewhonischen Touristen wichtiger sein als das Leben eines Sklaven?«
Sein Gesicht war nun hart wie Stein. »Und wo wir schon dabei sind, wieso sollten Sie es höher ansetzen? Vergessen Sie bitte nicht, dass Lieutenant Griggs - und den Sergeants Hofschulte und Bulanchik - zumindest das Recht eingeräumt wurde, sich für ihren möglicherweise gefährlichen Einsatz freiwillig zu melden. Fragen Sie die Sklaven Manpowers - die Tausende und Abertausende auf Congo, die genau wissen, dass sie sich in wenigen Jahren totgearbeitet haben werden -, ob auch nur einem von ihnen je ein solches Recht zugestanden worden ist.« Er nickte Berry zu. »Oder fragen Sie Berry, ob sie nach ihrer Geburt je gefragt worden ist, ob sie freiwillig in den unterirdischen Labyrinthen Alterdes leben möchte. Oder fragen Sie Ihre Mutter, ob sie je gefragt wurde, ob sie sich zu einem Leben als weibliches Vieh der Masadaner freiwillig melden möchte.«
Er schnaubte verächtlich. »Gott, wie liebe ich sie, die ›feine Moralität‹ der Reichen und Mächtigen. Ihr vergießt Tränen wohl über euresgleichen, ohne auch nur nachzudenken. Die
Leute, die unter euch stehen, seht ihr kein zweites Mal an, obwohl ihr Leben jeden Tag niedergewalzt wird, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Doch so jemand ist eurer Aufmerksamkeit wohl nicht würdig, was?«
Ruth riss sich von Berry los und straffte den Rücken. Mit einer raschen Handbewegung wischte sie sich die letzten Tränen vom Gesicht. »Das ist nicht fair, Web!«
Du Havel blickte sie unverwandt an. »Nein, das ist tatsächlich nicht fair - wenn ich es Ihnen vorwerfe. Sehr unfair sogar. Das weiß ich deswegen, weil Sie augenblicklich reagierten, als Ihnen klar wurde, dass Cachat etwas vorhatte.«
Ruth starrte ihn an. Webs steinernes Gesicht kräuselte sich plötzlich zu einem kleinen Lächeln. »Vergessen Sie eines nie, Prinzessin von Manticore. Gerade dieses Verhalten, für das Sie sich jetzt als ›Verräterin‹ geißeln, wäre ein Grund, aus dem ein früherer Manpower-Sklave geneigt sein könnte, einer Prinzessin zu trauen. Und ich empfinde das nicht besonders oft, das kann ich Ihnen versichern. Normalerweise traue ich Höhergestellten genauso wenig wie einer Schlange. In dieser Hinsicht - Sklaven haben ein langes und bitteres Gedächtnis - unterscheide ich mich im Grunde nicht sehr von Jeremy X.«
Ruth wandte den Kopf und starrte Berry an. Berry lächelte achselzuckend.
»Ganz seiner Meinung. Und ich finde, du solltest wirklich mit deiner Mutter darüber sprechen, wenn sich die Gelegenheit ergibt.«
Ruths Lippen bebten. »Meine Mutter. Du meinst die, von der mein Vater gesagt hat, sie sei seit fünfhundert Jahren das erste Mitglied der Dynastie, das dem Haus Winton beibringen könnte, was es wirklich bedeutet, ›kaltblütig‹ zu sein?«
»Ja, deine Mutter, die Mörderin.«
»Und Piratin, glaube ich«, fügte Du Havel fröhlich hinzu.
Ruth blickte zwischen Web und Berry hin und her. »Mir gefällt es immer noch nicht. Und Cachat ist noch immer ein Dreckskerl.«
»Niemand verlangt, dass es Ihnen gefällt, Prinzessin«, entgegnete Du Havel. »Wie schon gesagt - in Anbetracht Ihrer Herkunft können Sie gar nicht anders empfinden. Hm. Wahrscheinlich hätte es mir ein wenig Angst gemacht, wenn Sie nicht reagiert hätten, wie Sie reagiert haben. Lassen Sie aber nicht zu, dass diese Reaktion Ihnen den Blick auf die Wirklichkeit verstellt. Victor Cachat ist vielleicht ein ›Dreckskerl‹ vielleicht ist er es auch nicht. Ich kenne den Mann offen gesagt nicht gut genug, um mir eine Meinung über seinen Charakter zu erlauben, die in die eine oder die andere Richtung
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