Honor Harrington Bd. 16
versuchte sie sich so unschuldig und naiv zu geben wie möglich.
»Ja, ich glaube, das ist richtig. Ihn meine ich.«
Wenn man ihr zuvor noch misstrauisch gegenübergestanden hatte, so waren alle Verdächtigungen schlagartig verschwunden, als wäre der Name Victor Cachats ein magischer Talisman. Berry schwirrte davon zunächst ein wenig der Kopf, bis sie begriff, dass sie sich im Laufe der letzten Jahre angewöhnt hatte, die Welt durch manticoranische Augen zu sehen. Für sie war Victor Cachat vor allem ein Agent der Republik Haven - und damit ein Feind.
Den Manpower-Sklaven aber bedeutete der Krieg zwischen Manticore und Haven kaum etwas. Wenn sie dabei hätten Stellung beziehen wollen, so wären sie vermutlich Haven stärker zugeneigt gewesen. Gewiss, wenn es um die Frage der Gensklaverei ging, genoss das Sternenkönigreich eine bessere Reputation als die meisten Sternnationen. Tatsächlich hatte Manticore die Cherwell-Konvention vierzig T-Jahre vor Haven unterzeichnet und besaß zusätzlich das Prestige, eine Catherine Montaigne hervorgebracht zu haben, der vielleicht glanzvollsten Führerin der Anti-Sklaverei-Liga. Doch andererseits ließ sich nicht von der Hand weisen, dass eine Erbaristokratie das Sternenkönigreich beherrschte - was jedem Menschen gegen den Strich gehen musste, der unter dem Joch eines Kastensystems gelitten hatte -, während Haven in der gesamten besiedelten Milchstraße in dem Ruf stand, ein Bollwerk der Gleichbehandlung zu sein.
Dass Haven unter dem Regime der Legislaturisten stärker von Erbeliten beherrscht worden war als das Sternenkönigreich und die Volksrepublik unter Pierre und Saint-Just zu einem Bollwerk der brutalen Unterdrückung verkam - solche feinen Unterschiede interessierten die meisten Sklaven nicht besonders. Und selbst wenn doch, es wäre ihnen recht gleichgültig gewesen. Bis Anton und Helen Zilwicki sie retteten, hatte Berry am eigenen Leib die »persönliche Freiheit‹ erfahren, die angeblich alle Terraner genossen. Im wirklichen Leben hieß das, dass man in Elend lebte, wenn man nicht aus den ›richtigen‹ Kreisen stammte. Die einzige Freiheit, die sie je gekannt hatte, war die Freiheit zu verhungern.
Jetzt verstand sie etwas viel besser, das Web Du Havel während der langen Reise nach Erewhon zu ihr gesagt hatte. Berry interessierte sich zwar nicht leidenschaftlich für Politologie - doch andererseits fand sie fast alles ziemlich interessant. Deshalb hatte sie willig an Webs Diskussionen mit Ruth teilgenommen. (Die Prinzessin benahm sich selbstverständlich wie eine Süchtige, sobald es um Politik ging).
»Es ist einfach eine Tatsache, meine jungen Damen, ob es euch gefällt oder nicht. Wenn man jemanden zwingt, wie ein Ochse unter dem Joch zu leben, dann darf man nicht erstaunt und schockiert sein, wenn er zu einem wilden Stier wird, sobald er sich befreit hat. Ihr erwartet die Milch der frommen Denkart? Ihr bekommt genauso viel Nächstenliebe und Gnade, wie ihr ihm gewährt habt. Der Peitschenhieb wird vergolten mit dem Schwert, der Schlinge, der Fackel. So ist es nun einmal, da kann man sich jeden Sklavenaufstand der Geschichte ansehen, jede Rebellion von Leibeigenen gegen ihre Feudalherren. Erschlagt den Herrn, schlachtet seine Familie, brennt sein Haus nieder auf die Grundmauern. Vorwärts! «
»Sie klingen, als billigten Sie das«, entgegnete Ruth mit leichtem Vorwurf.
»›Billigung‹ hat gar nichts damit zu tun, Prinzessin, wenn man es professionell betrachtet. Da könnten Sie einem Arzt auch vorwerfen, er billige den Stoffwechsel. Der Stoffwechsel ist, wie er ist - und manchmal kann er ziemlich furchtbar sein. Lernen Sie, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, Prinzessin. Vor allem aber lernen Sie, ihr nicht durch Drumherumreden auszuweichen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Zufällig billige ich solche Ausschreitungen nicht - ebenfalls aus rein professioneller Perspektive. Aber dass kein Missverständnis aufkommt: Meine Missbilligung hat nichts - aber auch gar nichts - mit Skrupeln wegen des Schicksals der Sklavenhalter zu tun.« Seine Augen, die normalerweise sehr freundlich wirkten, waren eiskalt geworden. »Jeder Mann und jede Frau im heutigen Universum, der freiwillig an der Ausübung von Sklaverei teilnimmt, geht dadurch automatisch seiner Rechte auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück verlustig. Das ist meine Ansicht, und diese Ansicht teilt jeder Sklave oder Ex-Sklave, dem ich je begegnet bin. Sie werden niemals sehen, dass ich auch
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