Honor Harrington Bd. 16
können den Masadanern das Schiff wieder abnehmen.« Sie machte eine Handbewegung, mit der sie alle Sklaven einschloss. »Was wird dann aus uns?«
Berry begann zu erklären. Schon nach wenigen Sekunden war das surreale Gefühl wieder da.
Als Prinzessin betrachtet zu werden war schon eigenartig genug. Für eine Prophetin gehalten zu werden war viel seltsamer.
38
»Also gut, Prin ... Berry«, sagte Thandi leise, aber bestimmt. Sie erhob sich aus ihrer Hockstellung vor der Luke, wo sie Ruth bei der Arbeit zugesehen hatte. »Jetzt sehen Sie zu, dass Sie hier wegkommen.«
Im ersten Moment blickte Ruth sie störrisch an. Lächelnd zog Berry sie vom Schott weg.
»Lass nur, ›Berry ‹«, wisperte sie. »Du bist nicht für Kommandounternehmen ausgebildet.«
So widerwillig die Prinzessin sich auch vom Geschehen zurückziehen ließ - für Berry war offensichtlich, dass Ruth im Leben noch nicht so viel Spaß gehabt hatte, auch wenn sie es zu verbergen suchte -, sie wehrte sich nicht ernsthaft. Die junge Royal war zwar abenteuerlustig, aber nicht schwachsinnig. Sie hatte bereits getan, was sie tun wusste: die Kodes geknackt, die Thandi erlaubten, die Luke zur Brücke zu öffnen, ohne Alarm auszulösen. Von diesem Punkt an gäbe es jedoch nur Blutvergießen und rasche Schusswechsel. Obwohl Prinzessin Ruth relativ sportlich war, konnte sie mit Thandi Palane und ihren Amazonen nicht einmal ansatzweise mithalten. Sie stände ihnen nur im Weg, und das wusste sie.
Berry führte sie zu der Luke am anderen Ende des kleinen Raumes, die zu den Sklavenquartieren führte.
»Verdammt«, murmelte Ruth. »Du weißt genauso gut wie ich, dass meine Tante, wenn sie davon erfährt...« Sie verzog das Gesicht. »Dann habe ich Glück, wenn sie mich je wieder aus meiner Suite im Mount Royal Palace herauslässt. Bis ich tot bin oder sie.«
»Pst«, machte Berry und nickte nachdrücklich zu der Luke,
die sich öffnete. »Und vergiss nicht, dass du noch immer ich bist und ich du.«
Ruth nickte. Nachdem Thandi und ihr Sturmtrupp in den Sklavenquartieren empfangen worden waren, hatte sie sich knapp mit Berry beraten. Sie waren übereingekommen, dass es am besten wäre, die Maskerade vorerst aufrechtzuerhalten.
Dieser Vorschlag stammte von Berry selbst, und sie kam sich damit noch immer ein wenig merkwürdig vor. Eigentlich bestand kein Grund, mit der Täuschung fortzufahren. Die Masadaner wären in wenigen Minuten entweder tot oder hätten das Schiff gesprengt, sodass alle starben. Wieso also weitermachen mit dem Zirkus?
Im Grunde war es doch ganz einfach ...
Seltsam, seltsam, seltsam.
... mittlerweile hatte sich Berry bei den Sklaven eine bestimmte Position errungen. Die Kombination aus den Neuigkeiten, die sie gebracht hatte, und ihre angebliche Identität einer Prinzessin schien sie zu beruhigen. Berry war aufgefallen, dass sich das Leitkomitee, das sich in ständiger - und oft wüster - Sitzung befand, seit es von den Plänen für Congo erfahren hatte, oft an sie wandte, als sei sie das inoffizielle letzte Schiedsgericht.
Seltsam, seltsam, seltsam.
Dennoch schien es zu funktionieren. Die Angehörigen des Leitkomitees waren ausnahmslos willensstark, einander nicht unbedingt zugetan, teilten nicht unbedingt die gleichen politischen Ansichten und hatten wenig Erfahrung in der Zusammenarbeit - ganz zu schweigen davon, dass das Komitee an sich unter dem Druck der Ereignisse zusammengeschustert worden war. Auch unter Kathryns im Allgemeinen sicherer Führerschaft erhitzten sich die Gemüter.
Doch die Konflikte waren noch nie aus der Hand geraten - und das nicht zuletzt, weil Kathryn sehr rasch begonnen hatte, Berry als Instrument des Ausgleichs einzusetzen. Was Berry in den Auseinandersetzungen sagte oder nicht sagte, spielte gar keine große Rolle. In aller Regel sagte sie ohnehin so wenig wie möglich und achtete vor allem lediglich darauf, dass alles Gelassenheit bewahrte.
Es lag daran, wer sie war. Oder besser gesagt, sein sollte.
Die ›Prinzessin‹. Was hatte dieses Wort an sich - dieses unzutreffende Wort wunderte sich Berry, das ihm diesen besonderen Zauber verlieh ?
Ruth schien sofort zu begreifen, als Berry versuchte, es ihr zu erklären.
»Aber sicher«, wisperte Ruth. »Es liegt daran, dass deine Autorität keiner wirklichen Legitimität entspringt. Vielleicht sagt man besser, einer willkürlichen Legitimität, die aus dem üblichen Rummel heraussticht. Im Großen und Ganzen ist es doch ein ziemlich blöder Beruf,
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