Honor Harrington Bd. 16
ehemaligen Sklaven ›Die Befreiung‹ genannt wurde, bemerkte ihn niemand. Ruth hatte ihn ohne weiteren Begleitschutz hergebracht, denn er hatte darauf bestanden, dass man kein Aufhebens um ihn machte. Web wollte die Vorgänge so lange wie möglich beobachten können, ehe seine Identität bekannt wurde. Danach würde er unausweichlich ins Zentrum des Geschehens gezogen werden.
In dieser Hinsicht empfand Web sehr gemischte Gefühle. Einerseits wusste er sehr genau, dass er eine führende Rolle in der Befreiung spielen musste, wenn sie eine Chance auf langfristigen Erfolg erhalten sollte. Man strapazierte die Tatsachen nicht allzu sehr, wenn man sagte, dass er sich seit seiner Flucht vor Manpower sein ganzes Leben auf diese Aufgabe vorbereitet hatte.
Andererseits...
Das Ausüben von Macht an und für sich übte keinerlei Reiz auf ihn aus. Eher im Gegenteil. Vom Temperament her neigte er viel mehr zur Herangehensweise des Gelehrten als des Aktivisten. Ihm gefiel die Distanz, die jene Position ihm verlieh, und wusste zugleich, dass er sie bald einbüßen würde - wahrscheinlich für den Rest seines Lebens.
Dennoch, Pflicht war Pflicht. Vom gleichen distanzierten, wissenschaftlichen Blickpunkt - der geradezu klinisch zu nennen war - begriff Web sehr gut, dass ihn gerade die Charakterzüge, die ihn vor einer führenden politischen Rolle zurückschrecken ließen, für die Befreiung so wertvoll machten. Vielleicht sogar noch mehr als seine Kenntnisse in der Theorie politischer Dynamik. Theorie war jedoch eine Sache; Praxis eine andere. Die Geschichte war voll von Gelehrten, die, nachdem sie an die Macht gelangt waren, katastrophale politische Führer abgegeben hatten.
Web war sich über die Gründe dafür im Klaren.
Zum einen versuchten Intellektuelle normalerweise, die Wirklichkeit in ihre theoretischen Systeme zu zwängen und gaben nur sehr ungern zu, dass keine Theorie alle Aspekte der Realität abdecken konnte. Dabei traf dies in besonderem Maße zu, wenn man es mit einem Phänomen zu tun hatte, dass so inhärent komplex, widersprüchlich und chaotisch war wie menschliche Politik. Theorie konnte bestenfalls ein Leitfaden der Praxis sein, aber kein Ersatz. Jedem erfahrenen, praktizierenden Politiker war dieser Umstand instinktiv völlig klar, doch Menschen, die ihr Leben im geschlossenen System der akademischen Welt verbracht hatten, fehlte diesbezüglich oft die Einsicht.
Zum anderen waren Gelehrte, die es zur Macht zog, ebenso anfällig gegen ihre Versuchungen wie ein Politiker, ohne den gleichen Zugang zu ihren Tugenden zu besitzen. Aus langer Erfahrung wusste Web, dass es vielleicht keine Form der politischen Auseinandersetzung gab, die mit solcher Kleinlichkeit, Heimtücke, Unnachgiebigkeit und Zwecklosigkeit geführt wurde wie akademische Grabenkämpfe. Zum Glück für das Universum standen den Gelehrten in den allermeisten Fällen nicht die Machtmittel einer Sternnation und ihre modernen Waffensysteme zur Verfügung.
Gab man einem Gelehrten allerdings solche Macht...
Web verzog das Gesicht. Er besaß eine geradlinige Persönlichkeit und machte sich im Grunde keine Sorgen, dass sich unter der liebenswerten Fassade des Mannes, der als W. E. B. Du Havel bekannt war, ein brutaler Despot verbarg. Doch das
war sehr dem Umstand zu verdanken, dass er für solch eine Eventualität vorgeplant - in groben Zügen nur, nicht im Detail - und schon vor langem entschieden hatte, alles zu tun, um dieser Versuchung niemals nachzugeben. Genauer gesagt, hatte er sich mit Kontrollen und Barrieren umgeben, die diese Versuchung illusorisch machten.
Hierher gekommen war er im Stillen und ohne Vorankündigung, damit er die ersten - und vielleicht wichtigsten - dieser vorausschauenden Kontrollen und Barrieren studieren konnte. Und damit er in die Lage kam, sich wenigstens ein paar Minuten umzusehen, bevor man ihn schließlich erkannte. Die Abteilung war mit ehemaligen Sklaven, die das Geschehen beobachteten, dermaßen voll gestopft, dass Web sich durch die Menge quetschen konnte, ohne aufzufallen. Er trug zwar bessere Kleidung als die meisten Ex-Sklaven, doch immerhin hatte eine Zahl von ihnen bereits die erbärmliche Manpower-Ausstattung gegen nach wie vor praktische, aber erheblich bessere Overalls austauschen können, die heimlich von der Raumstation zum Schiff geschickt wurden. Ruth wurde bemerkt, hier und da, doch mittlerweile - fast vierundzwanzig Stunden, seit Cachat und Palane die Felicia III an sich gebracht hatten -
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