Honor Harrington Bd. 16
war sie den Ex-Sklaven ein vertrauter Anblick.
Die beengte Umgebung fand er sogar ein wenig amüsant. Der Tisch in der Mitte der Schiffsabteilung bot kaum genug Platz für die Angehörigen des Leitkomitees - nun in Befreiungskomitee umbenannt. Aus ihren finsteren Gesichtern sah Web, dass ihnen das wenig passte.
Früher oder später müssen sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen. Mitten in einem Menschengedränge kann man einfach keine praktische Politik betreiben. Aber ... jetzt noch nicht. Jetzt muss schlichtweg die Legitimität des Komitees festgestellt werden. Mose und die Propheten. Der Rest kann auf die Kommentare der Gelehrten warten.
Außerdem...
Web lachte leise. Was das Getümmel am zentralen Tisch für das Komitee am überschaubar machte, war der Umstand, dass das dichteste Gedränge es gar nicht umgab. Am engsten drängte sich die Menge um einen kleineren Tisch, der einige Meter entfernt stand. An diesem Tisch saß eine sehr junge Frau - eigentlich noch fast ein Mädchen - und horchte sorgsam auf etwas, das ihr fünf Ex-Sklaven vortrugen, die auf den anderen Stühlen an diesem Tisch saßen. Berry sagte etwas darauf, Web konnte nicht hören, was. An der Zufriedenheit, die den Ex-Sklaven augenblicklich anzusehen war - und den meisten Umstehenden -, bemerkte Web, dass sie sich kurz geäußert hatte, wie man ein unmittelbar zu lösendes und wahrscheinlich untergeordnetes Problem ihrer Ansicht nach am besten lösen könne. Sie hatte keinen Befehl erteilt, sondern in ruhigem Ton einen vernünftigen, praktikablen Vorschlag gemacht.
Der - aus ihrem Munde kommend - freilich das Gewicht eines salomonischen Urteils besaß. Umso besser, dass ihn ein Mädchen mit einem offenen, jungen, freundlichen Gesicht aussprach statt ein gestrenger Patriarch. Berry hatte zwar dennoch Autorität, aber ohne die Bedrohlichkeit, die manchmal hinter der Autorität lauert.
Ruth fiel in sein Lachen ein. »Sie ist ideal«, flüsterte sie.
Web tauschte mit der jungen manticoranischen Prinzessin, die im Grunde zu seiner Mitverschwörerin geworden war, ein Lächeln. Irre der Galaxis, vereinigt, euch - auch wenn es bisher nur zwei von uns gibt.
Bisher.
Berry war es, die sie zuerst sah und Web zwang, sein bisheriges Leben aufzugeben.
»Web!« Sie sprang vom Stuhl auf und hing in der nächsten Sekunde an ihm. Irgendwie gelang es ihr, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, ohne jemanden wirklich beiseite zu stoßen. Einen Moment später umschlang sie ihn.
Er machte keinen Versuch, sie abzuweisen. Im Gegenteil. Während Web Du Havel seiner Existenz als Gelehrter Lebewohl sagte, hieß er seine neue mit guter Laune willkommen.
Und wieso auch nicht? Das Mädchen in seinen Armen konnte jedem gute Laune einflößen.
»Königliche Hoheit«, sagte er betont.
Er hörte Berry an seiner Wange lachen. »So ernst!«, wisperte sie. »Diese alberne Schauspielerei, was bin ich froh, wenn ich das nicht mehr muss. Ich bin es doch nur, Web.«
Sie drückte ihn noch fester. Er ebenfalls. So fest wie ein Mann, der ins Meer gefallen ist, eine Schwimmweste umklammert.
»Königliche Hoheit«, wiederholte er.
Zuerst überraschte ihn, dass er weinte. Dann jedoch begriff der intellektuelle Teil seines Verstandes - dieser Teil seines alten Lebens, der ihm immer erhalten bliebe - das Phänomen. Eigentlich war es gar nicht so seltsam, wenn sogar ein Gelehrter feststellte, dass seine Gefühle von der Theorie berührt wurde, wenn diese Theorie aus echtem Fleisch und Blut ist. Wahrheit und Illusion sind in der Politik keine allzu streng getrennten Kategorien; sie verstehen es vielmehr immer wieder, ineinander überzugehen.
Deshalb erhielt er die Umarmung aufrecht und ließ die Tränen frei fließen. Er wusste, dass in den kommenden Jahren dieser Augenblick - den jeder in der Abteilung beobachtete - in die neuen Legenden der neuen Sternnation einginge.
Schon bald jedoch würden die Gelehrten der Zukunft die Farce entlarven, und die wilde jugend würde die Entlarvung in Kritik verwandeln und sogar, hin und wieder jedenfalls, offenen Groll und Rebellion.
Und? Bis dahin hätten die Generationen ihre Arbeit getan. Wenn eine Nation erst einmal etabliert und sicher ist, kann sie sich Selbstbelustigung leisten - sogar Selbstverhöhnung und Selbstveralberung. Sie benötigt dergleichen ab und an sogar, um Vernunft zu bewahren. Aber erst aus einer Position der Reife heraus. Wenn sie entsteht, benötigt eine Nation Sicherheiten genauso dringend wie ein
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