Honors Mission: Honor Harrington, Bd. 25. Roman
können - und zwar aus der Portokasse. Da sie eine Prolong-Empfängerin der dritten Generation war, sah sie noch deutlich jünger aus, als sie ohnehin schon war, vor allem für diejenigen, die die Auswirkungen der neuesten Prolong-Weiterentwicklung noch nicht gewohnt waren. Doch auch ein gewisses Schauspieltalent musste man ihr zugestehen. Der Oberkellner schien zumindest überzeugt, dieses Mädchen schwänze für diesen Nachmittag die Highschool - und angesichts ihres weichen, bedächtigen Grayson-Akzents musste der Kellner vermuten, sie besuche eine der unteren Klassen. Seine höfliche, aufmerksame Miene veränderte sich kein bisschen, und doch hatte Helen das unverkennbare Gefühl, innerlich würde dieser Mann gerade gequält das Gesicht verziehen.
»Ah, Lieutenant Archer«, wiederholte er. »Sehr wohl. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«
Wie ein schnittiges Segelschiff durchquerte er einen ganzen Ozean edelst gedeckter Tische, und Abigail und Helen wippten in seinem Kielwasser auf und ab wie zwei wenig vertrauenerweckende Beiboote. Sie erreichten einen kleinen Durchgang am anderen Ende des großen Saales, dann folgten sie dem Oberkellner zwei flache Stufen hinunter in einen weiteren Saal. Dieser war deutlich anders (aber nicht weniger kostspielig) dekoriert. Hier bestand der Boden aus Ziegeln, die man kunstvoll gealtert hatte. Die Wände - ebenfalls aus Ziegeln - wirkten grob und unfertig, und die Decke wurde von schweren Holzbalken gestützt.
Naja, zumindest sehen sie aus wie Holzbalken, dachte Helen. Für jemanden wie Abigail wirkte das vermutlich nicht sonderlich beeindruckend, schließlich war sie in einem (gründlich renovierten) mittelalterlichen Steinturm aufgewachsen, der mehr als sechshundert Jahre alt war. Darin gab es echte massive, vom Alter geschwärzte Holzbalken, ein Tor, das massiv genug war, um einem Rammbock zu widerstehen, schmale Schießscharten anstelle von Fenstern und dazu Kamine, die fast so groß waren wie der Beiboothangar eines Zerstörers.
An einem der Tische, die ebenfalls aus künstlich nachgedunkeltem Holz gefertigt waren, saßen zwei Personen. Einer davon, ein Offizier in der Uniform eines Lieutenants der Royal Manticoran Navy, mit grünen Augen und einer auffallenden Stupsnase, blickte auf und winkte ihnen zu, als er sie kommen sah. Angesichts dieses Winkens schaute auch seine Begleiterin - eine atemberaubend hübsche Blondine - zu ihnen hinüber und lächelte dann ebenfalls.
»Danke«, wandte sich Abigail höflich an den Oberkellner, und der ehrwürdige Bedienstete murmelte etwas Unverständliches, drehte sich herum und entfernte sich in einer Art und Weise, die bei einer weniger würdevollen Person wohl als »erleichterte Hast‹ bezeichnet worden wäre.
»Weißt du«, sagte Abigail, während sie und Helen an den Tisch herantraten, »du solltest dich wirklich schämen, diesen armen, sensiblen Mann so gezielt zu kränken, Gwen.«
Angesichts von Abigails eigenem Verhalten diesem Oberkellner gegenüber musste Helen unwillkürlich an das alte Sprichwort mit ›Eseln‹ und ›Langohren‹ denken, doch sie verkniff es sich edelmütig.
»Was denn, ich?« Lieutenant Gervais Winton Erwin Neville Archers Gesichtsausdruck strahlte völlige Unschuld aus. »Wie können Sie so etwas bloß sagen, Miss Owens?«
»Weil ich dich kenne?«
»Ist es etwa meine Schuld, dass keiner der Angestellten dieses Restaurants sich die Mühe gemacht hat, sich über die ehrwürdige Herkunft ihrer Gäste zu informieren?«, verlangte Gervais zu wissen. »Wenn du irgendjemandem dafür die Schuld geben willst, dann doch bitte ihr.«
Über den Tisch hinweg deutete er auf die Blondine, die sofort nach der ausgestreckten Hand schlug.
»Man zeigt nicht mit dem nackten Finger auf angezogene Leute«, erklärte sie mit einem schnarrenden Akzent, der fast klang wie eine Kettensäge. »Das wissen selbst so ungehobelte Unterschichts-Dresdener wie ich!«
»Das vielleicht nicht, aber damit habe ich doch trotzdem nicht unrecht, oder?«, versetzte er.
»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Helga Boltitz, die leitende Assistentin Verteidigungsminister Krietzmanns, und lächelte den beiden Neuankömmlingen zu. »Hallo Abigail, hallo Helen.«
»Hi, Helga«, erwiderte Abigail. Helen nickte Helga zur Begrüßung nur zu, während sie schon neben ihr Platz nahm. Abigail ließ sich auf den letzten noch freien Stuhl am Tisch sinken, sodass sie Helen gegenübersaß. Als ihr Kellner an den Tisch trat, blickte sie auf.
Er
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