Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen
Vorwarnung
bäumte sich der leblose Körper plötzlich auf und sog mit einem ächzenden Laut
Luft in die Lunge. Der linke Arm schlug aus und traf mich dabei am Kinn. Das
Szenario ähnelte einem Flimclip aus „Zombies im Kaufhaus“. Ich schrie auf und
sprang zurück. Die Leiche öffnete die Augen und blickte verstört um sich. Ich
hielt den Atem an. So auch alle anderen, die sich im hinteren Busteil
versammelt hatten.
„Heidi? Wo ist
meine Heidi? Ist ihr etwas passiert?“ Herr Büchsenschütz schaute hilfesuchend
in die Runde und schien erleichtert, als er sein Muttchen hinter mir erblickte.
„Du lebst ja!
Du bist ja gar nicht tot. Du lebst!“, rief Heidi immer wieder. Ihre Stimme
überschlug sich vor Aufregung.
„Was ist denn
hier los?“, wollte Herr Büchsenschütz wissen. „Was gibt’s denn hier zu
glotzen?“
Er strich sich
mit der Hand über das schüttere Haar. „Wann machen wir den nächsten
Toilettenstopp? Ich muss mal.“
Als sich die
Situation und vor allem der Reiseleiter wieder beruhigt hatten, nahmen wir Kurs
auf die Notfallklinik im Grand Canyon Nationalpark. Ich wollte die
Besichtigungen des Tages auf gar keinen Fall fortsetzen, ohne Herrn
Büchsenschütz zunächst einer ärztlichen Untersuchung unterziehen zu lassen.
„Aber dann
verpassen wir doch unseren Hubschrauberflug“, beschwerte er sich.
Seine Frau
bestand jedoch ebenso dringlich wie ich darauf, ihren Mann durchchecken zu
lassen.
„Ein zweites
Mal stehe ich das nicht durch, Ernst. Dann kannst du mich gleich auf den
Friedhof bringen“, drohte sie ihm.
Außer einem
leicht erhöhten Blutdruck konnte der Notarzt bei Herrn Büchsenschütz allerdings
nichts feststellen. So erfüllte sich der Traum vom gemeinsamen Besuch des Grand
Canyon für Ernst und Heidi am Ende doch noch.
Während das
Ehepaar kurze Zeit später gemütlich auf einer Mauer saß und bei einem Eisbecher
den Blick in den Mächtigsten aller Canyons genoss, verschwand ich in der Bar
des El Tovar Hotels und spülte den Schreck, der mir noch immer in den Knochen
saß, mit einem doppelten Whiskey hinunter. Hugos sind ganz einfach nicht
mein Ding – schon gar keine Falschen. Der Grand Canyon hingegen ist absolut
mein Ding. Ich bin bei jedem Besuch aufs Neue fasziniert von diesem
gigantischen Erdloch, das sich jedes Jahr ein paar Menschenleben holt. Wie ein
hungriges Monster lauert der Canyon auf Wanderer, die sich verlaufen oder nicht
genug Wasser für den anstrengenden Ab- und Aufstieg mitgenommen haben und
deshalb unterwegs verdursten. Er verschluckt Kletterer, die ihre Balance
verlieren und in die Tiefe stürzen. Aber es gibt auch immer wieder Touristen,
die ganz einfach in den Canyon hineinfallen, weil sie entweder zu waghalsig
oder zu dumm sind, die auf sie lauernden Gefahren richtig einzuschätzen.
„Komm,
Lieschen, geh noch einen Schritt zurück, damit ich den Colorado noch mit drauf
kriege.“
Plumps! macht
es dann und Lieschen fliegt eintausend Meter in die Tiefe, weil die
Steinplatte, auf der sie für das Familienalbum posiert, unter ihrem Gewicht
nachgibt. Auch zur Monsunzeit zwischen Juli und September ist der Grand Canyon
mit Vorsicht zu genießen. Heftige Gewitter ziehen an den Nachmittagen über das
Plateaugebiet und die schreckenerregenden Blitze, die so ein Sommergewitter mit
sich bringt und für die der Staat Arizona bekannt ist, jagen gnadenlos jeden,
der sich ungeschützt im Inneren oder am Rand des Canyons bewegt. Wen der Schlag
nicht trifft, muss damit rechnen von den sintflutartigen Regenfällen weggespült
zu werden. Hat sich die Natur beruhigt und die Sonne schaut hinter den dichten
Wolken hervor, glänzt der Canyon wieder in voller Schönheit – so, als wäre
nichts gewesen. Allein der Colorado- Fluss verrät mit seinem schlammigen
Wasser, dass ein Unwetter durch die Gegend gezogen ist. Wer das Glück hat,
einen Sonnenuntergang am Südrand des Grand Canyons zu erleben, kann sich von
dem einmaligen Farbspiel zwischen Sonne und Gesteinen verzaubern lassen.
Tausende von Besuchern kommen in den Sommermonaten täglich und lassen die
kostbaren Augenblicke dieses einmaligen Naturschauspiels voller Ehrfurcht auf
sich wirken.
Der Grand
Canyon ist und bleibt der König der Canyons. Da waren sich auch Ernst und Heidi
Büchsenschütz einig, die ihren Helikopterflug in den frühen Morgenstunden vor
der Abreise am Ende doch noch erleben durften.
06 Vom Grand Canyon zum
Monument Valley - Die Sache mit der
Indianerfrisur
Haben
meine Gäste
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