Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen
erst einmal den Grand Canyon gesehen, sind sie glücklich. Zumindest
für ein paar Stunden. Immerhin handelt es sich um das weltgrößte Erdloch, und
das ist ja schon was. Kurz vor der Abfahrt am frühen Morgen werden noch auf die
schnelle zehn oder zwanzig Postkarten an der Rezeption gekauft, damit auch
diejenigen, die in der fernen Heimat noch nicht informiert sind, auf den
neuesten Stand der Dinge gebracht werden können.
„Liebe Jutta,
lieber Frank.
Wir sind jetzt
am Grand Canyon. Der ist echt groß. Und das Wetter ist auch gut. Der
Reiseleiter auch. Die Hotels sind so naja. Herbert hat sich an einem Kaktus
gestochen. Bitte vergesst nicht, die Blumen zu gießen. Viele Grüße aus Amerika
von den Schnatmeiers. P.S.: Wir freuen uns schon auf ein Wiedersehen.“
Das Geschäft
mit den Postkarten blüht. Besonders die deutschen Touristen sind völlig heiß
auf die bunten Fotopappen. Während die Japaner längst auf den Versand von
digitalen Bildern per Email umgestiegen sind, kaufen die Müllers, die Meiers
und die Lautenbachers stapelweise farbige Karten, um den halben Urlaub damit zu
verbringen, diese an Hinz und Kunz zu verschicken. Es gibt Gäste, die reisen
bereits mit einer Liste an, auf der alle zukünftigen Postkartenempfänger
alphabetisch oder nach Wichtigkeit notiert sind. Da wird geschrieben, bis die
Finger bluten. Und wen das Kartenfieber erst einmal erwischt, der schickt auch
gern mal zwei oder drei an den gleichen Empfänger.
„Komm, Uschi,
du haust die Adressen drauf und ich schreib den Text.“
„Aber bei den
Everts und bei den Schmidts musst du darauf achten, dass nicht bei beiden
dasselbe drauf steht. Die vergleichen die Karten immer beim Kegeln.“
„Denen haben
wir doch schon eine geschrieben.“
„Ja, aber doch
nicht vom Grand Canyon. Das war von Hollywood.“
„Ach so. Nun
komm, Uschi, mach hin. Wir sind doch nicht zum Vergnügen hier!“
„Hast Du auch
an den Schlachter und an Frau Grunzel von Ordnungsamt gedacht?
„Ja, ja. Hab
ich. Und der Pizzabäcker kriegt auch eine.“
„Dann müssen
wir aber dem Schuhmacher auch eine Karte schreiben. Nachher denkt der noch, wir
hätten was gegen ihn.“
Da man in den
Souvenirläden keine Briefmarken für den internationalen Versand erstehen kann,
muss ich bereits vor Reisebeginn einige Hundert Exemplare besorgen, damit meine
Gäste unterwegs nicht verzweifeln. Erfahrungsgemäß gibt es für den deutschen
Urlauber kaum Schlimmeres, als die erfolglose Suche nach Briefmarken. Der
Postkarten-Schreibrekord lieg momentan bei 132 Karten in zwei Wochen und wird
von einem gewissen Ehepaar Zuppel aus einem Dorf am Rhein gehalten. Die waren
im Herbst 2008 meine Gäste und werden mir sicher noch lange in Erinnerung
bleiben. Die stets perfekt gestylte Frau Zuppel hatte permanent einen Stapel
Karten auf ihrem Schoss und war während der Fahrt ständig am Sortieren und am
Kleben. Irgendwo im weiten Westen jagte sie mir einen riesigen Schrecken ein,
als sie bei der Abfahrt nach einem Tankstopp ganz plötzlich im Bus aus ihrem
Sitz aufsprang.
„Halt! Stopp!
Schtooop se bass!,“ rief sie hysterisch.
Der Busfahrer
brachte den Karren mit einem gewaltigen Ruck zum Stehen und sah mich durch den
Rückspiegel fragend an. Frau Zuppel klopfte wie wild von innen gegen die
Fensterscheibe und versuchte offenbar die Aufmerksamkeit einer Person zu
erregen, die sich in einem anderen Reisebus befand, der gerade an der
Tankstelle eingefahren war.
„Ich muss ganz
schnell raus“, rief sie. „Da drüben in dem Bus – da sitzt meine Friseuse. Die
Frau Schliphage. Meine Friseuse!“
Ich glaubte
meinen Ohren nicht zu trauen. Hektisch kramte Frau Zuppel durch ihren
Postkartenstapel, nahm eine davon heraus und eilte wie ein aufgescheuchtes Huhn
auf den Parkplatz. Man hätte meinen können, sie befindet sich in Seenot, so
heftig wedelte sie mit den Armen. Als die Friseuse endlich bemerkte, dass es
sich bei der aufgedrehten Frau vor ihrem Busfenster nicht etwa um eine
entlaufende Irre handelte, sondern um eine langjährige Stammkundin, war die
Aufregung groß. Hoch amüsiert verfolgte der Rest der Reisegruppe die
Wiedersehenszeremonie der beiden Damen. Die Szene erinnerte mich an eine
Familienzusammenführung nach dem 2. Weltkrieg. Tränen flossen und die Frauen
hüpften begeistert auf und ab, als hätten sie sich Jahrzehnte nicht mehr
gesehen. Ob die ihre Friseuse daheim wohl auch so überschwänglich begrüßt,
wenn sie zur Dauerwelle geht? Bevor sich die
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