Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen
ich mich bereits halb tot mit gebrochenen Knochen am Rande einer
Orangenplantage liegen. „Von einem eifersüchtigen Gast zu Tode geprügelt“,
würde auf meinem Grabstein stehen. Das konnte ich nicht zulassen. Ich drehte
mich um und sah Heul-Susi in die Augen.
„Liebe Frau
Zander. Ich weiß wirklich nicht, warum Sie im Flüsterton mit mir reden. Und ich
bin sicher, was immer sie mir mitteilen möchten, kann nicht so geheimnisvoll
sein, dass es niemand anders hören darf.“
Das saß! Ich
war überrascht, wie selbstsicher und gefühlskalt ich klang. Irgendwie tat mir
die Frau zwar leid, aber ich durfte auf gar keinen Fall unprofessionell werden
und mich auf eine Ebene mit ihr begeben. Schließlich gab es noch vierzig andere
Reiseteilnehmer, die ihre Antennen stets auf mich gerichtet hielten. Deutsche
Touristen haben ein äußerst feines Gespür, wenn es darum geht, anderer Leute
Ärger zu schnuppern oder Skandale aufzudecken. Ich überließ Heul-Susi also
ihrem Schicksal und mischte mich unter eine Gruppe von Gästen, die sich
bereites wieder vor dem Bus versammelten.
Anderthalb
Stunden später erreichten wir Fresno. Kaum eine andere Stadt widerspricht dem
Klischee des amerikanischen Westens mehr. Hier hat man eher das Gefühl irgendwo
in Mexiko oder Mittelamerika zu sein, da das Stadtbild fast ausschließlich von
Latinos bestimmt wird. In Fresno leben viele der Landarbeiter des San Joaquin
Valleys, welches sich über einige hundert Kilometer durch das Landesinnere von
Kalifornien zieht. Die Menschen in dieser Gegend gehören zu den Ärmsten des
Staates und viele von ihnen sind illegal im Land, geflohen aus Mexiko,
Guatemala und Honduras, auf der Suche nach Freiheit und mit der Erwartung, im
gelobten Land gutes Geld zu verdienen. Als illegale Einwanderer besitzen die
Latinos keine Arbeitserlaubnis und bekommen nur die Jobs, die kein Amerikaner
übernehmen möchte. Dazu gehört auch die Arbeit auf den Feldern und in den
Plantagen Zentralkaliforniens. Für eine Handvoll Dollar malochen die Menschen
bei erbärmlicher Hitze, nur um am Abend erschöpft und hoffnungslos in ihren
Massenquartieren auf den kommenden ebenso harten Tag zu warten. Sieben Tage die
Woche, 365 Tage im Jahr. Hier kennt man keine Wochenenden oder Feiertage. Den
Rhythmus im San Joaquin Valley bestimmen die Orangen, die Erdbeeren, und die
Tomaten. Und die gedeihen hier das ganze Jahr hindurch. An diesem Ort, mitten
in einem Staat, in dem die meisten Millionäre des Planeten zu Hause sind,
bekommt man plötzlich das Gefühl, in der dritten Welt gelandet zu sein. Überall
sieht man schmutzige Männer, die nach Einbruch der Dunkelheit stapelweise
Tortillas aus mexikanischen Märkten schleppen. Teigfladen sind billig und
machen irgendwann satt. Der mickrige Lohn, den ein Arbeiter verdient, wird in
die ferne Heimat zu Frau und Kindern geschickt, damit zumindest die ein
menschenwürdiges Leben führen können und nicht Hunger leiden müssen.
„So haben wir
uns das aber nicht vorgestellt. Das ist ja schrecklich!“, sagen dann die
Touristen.
„Ja, ist es“,
sagt auch der Reiseleiter.
Fresno ist
sicher nicht der Ort, den man sich in seinen Urlaubsträumen vorstellt. Für uns
bietet die Stadt die Möglichkeit zur Zwischenübernachtung auf dem Weg in den
Yosemite Nationalpark. Kaum eine Rundreise führt an diesem wenig attraktiven
Ort vorbei, denn nur hier gibt es genügend Hotels und Motels, die in der Lage
sind, die starken Besucherströme auf dem Weg in das wohl berühmteste Naturschutzgebiet
der Vereinigten Staaten auffangen zu können.
Nachdem ich
die Schlüssel für die Hotelzimmer nach unserer Ankunft verteilt und meinen
Leuten erklärt hatte, wo sie zu Abend essen konnten, machte ich es mir in
meinem Zimmer gemütlich. Jeder Reiseleiter hat seine eigene Art, die
Hotelzimmer ein wenig heimatlich zu gestalten. Es gibt Kollegen, die stellen
überall Bilder ihrer Liebsten auf. Andere tragen einen Tauchsieder im Gepäck
und kochen am Abend ihren Lieblingstee. Ich, für meinen Teil, reise immer mit
eigenem Bettzeug, inklusive Bettdecke und Kopfkissen. Das gibt mir ein Gefühl
von heimischer Geborgenheit. Davon abgesehen sind mir Hotelbetten ganz einfach
unsympathisch, um es gelinde auszudrücken. Wer fünf oder sechs Monate jeden
Jahres in Hotels zubringt, dem vergeht irgendwann die Lust auf Leihwäsche.
Allein die Vorstellung, wer schon alles darin genächtigt hat... Nein, Danke!
Heul-Susi war
an diesem Abend, zumindest temporär, aus meinen
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