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Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen

Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen

Titel: Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Tappe
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Busse dieselben Besichtigungsstopps einlegen, damit sich keine der
Gruppen benachteiligt fühlt. Das ist jedoch einfacher gesagt als getan. Es gibt
einige Kollegen und Kolleginnen, die mit fortschreitenden Jahren manchmal
seltsame Ideen haben und von den Jüngeren dann erwarten, diese begeistert
anzunehmen. So auch Annemarie. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, nach unserem
fakultativen Abendessen in Chinatown eine außerplanmäßige Führung durch das
Hyatt Hotel im Embarcadero Center ins Programm zu nehmen. Da mir diese
Nachricht mit lediglich zehn Minuten Vorlauf präsentiert wurde, während ich
mein Dessert im Restaurant einnahm, fehlte mir jegliche Möglichkeit, mich
adäquat vorzubereiten. Ich bat meine Kollegin inständig um Gnade. Annemarie
ließ sich jedoch auf keine Diskussion ein und malte mir die zu bewältigende
Wegstrecke auf einer Papierserviette vor. Es folgte ein Wasserfall von
Informationen über das Embarcadero Center selbst, den Architekten des Hyatt
Hotels und über verschiedene Skulpturen, die wir unterwegs zu sehen bekommen
würden.
    „Und wo parken
die Busse?“, wollte ich wissen.
    „Du gehst
einfach die Außentreppe in Richtung Fährgebäude hinunter. Dort siehst du eine
Skulptur, die sich La Chiffonniere nennt. Das ist französisch und
bedeutet: Die zerlumpte Lady. Dann gehst du nach rechts und an der nächsten
Ecke warten die Busse. Alles ganz einfach!“
    Ich
befürchtete das Schlimmste. Hier ein Gemälde, da eine Skulptur und dazu sollte
ich mir auch noch die ein oder andere Sache über den Architekten des Hotels
merken. Ich griff nach einer zweiten Serviette und machte mir darauf Notizen.
Da mein Gehirn zu später Stunde leider nur über eine begrenzte Merkfähigkeit
verfügt, waren die Hälfte von Annemaries Informationen bereits wieder jenseits
des Orbits verschwunden, bevor ich sie auf meinem Spickzettel verewigen konnte.
    „Irgendwie
werde ich es schon bis zur zerlumpten Lady schaffen“, tröstete ich mich.
    Irgendwie geht
es immer. Nun war Improvisation angesagt. Versteckte Improvisation! Annemarie
verließ das Restaurant nahe der Grant Street eine gute halbe Stunde vor mir.
Damit war ich völlig auf mich allein gestellt. Ich bat meine 45 Gäste, sich um
20 Uhr vor dem Restaurant zum gemeinsamen Aufbruch zu versammeln. Heimlich
spähte ich während unseres Fußmarsches immer wieder auf meinen Spickzettel und
versuchte, mir ein paar Eckdaten einzuprägen. Ich wollte die Serviette auf gar
keinem Fall vor allen Leuten im Hotelfoyer hervorholen. Nebenher führte ich
lockeren Small Talk mit einigen Gästen, die selbstverständlich glaubten, ihr
Reiseleiter kenne sich bestens aus. Zunächst lief auch alles glatt. Ich fand
den Eingang zum Hyatt Hotel ohne Probleme. Die Rolltreppe brachte uns, genau
wie Annemarie es beschrieben hatte, in die spektakuläre und - laut Guinness Buch
der Rekorde - größte Hotellobby der Welt. Ich vermittelte meiner Gruppe einige
Informationen über den Bau des Hotels und berichtete, dass der Architekt Veldon
Simpson auch das Superhirn hinter der Pyramide von Las Vegas, dem Luxor Hotel,
gewesen sei. Anschließend bahnte ich mir einen Weg durch die Shopping Galerie,
um über eine pompöse Außentreppe auf die Justin Herman Plaza zu
gelangen. Dort sollte, unweit des Reisebusses, die von Annemarie beschriebene
„zerlumpte Lady“ stehen.
    Ich atmete
auf, als ich die Treppe und den großen Platz vor mir erblickte. Doch wo stand
die zerlumpte Lady? Ich sah nur eine Art Brunnen, aus dem kreuz und quer ein
paar seltsame Betonpfähle hervorragten.
    „Du liebe
Güte!“, dachte ich. „Das sieht ja nicht mal annähernd aus wie eine Lady.“
    Schnell kramte
ich meine halb zerrissene Serviette aus der Hosentasche, um noch einmal sicher
zu gehen, dass ich mich nicht verlaufen hatte. Nein. Ich befand mich laut
Annemaries Wegbeschreibung auf dem rechten Pfad. Das seltsame Brunnengebilde
vor mir musste also die Lady sein, die zerlumpte. Auf der zweiten Serviette war
der Name des Künstlers vermerkt: Jean Dubuffet. Ich murmelte den Namen zwei
oder dreimal still vor mich hin und führte meine Gruppe ganz souverän an den
Brunnenrand.
    „Dies ist
eines der zahlreichen Kunstwerke, die das Embarcadero Center schmücken. Es
wurde 1978 erschaffen und heißt: La Chiffonniere. Zu Deutsch: Die zerlumpte
Lady.
    Die Gäste
schauten mich gespannt an. Ich fühlte mich nicht wohl bei meiner Sache und eine
Stimme in meinem Kopf rief wiederholt:
    „Stopp! Tu es
nicht!“
    Ich

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