Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen
sonst hätte ich mir längst eine Villa am berühmten 17 Mile Drive
gekauft, dem wohl teuersten Wohngebiet weit und breit. Wer hier lebt, hat keine
Sorgen, zumindest keine finanziellen. Für ein Anwesen in der Region muss man
mehrere Millionen Dollar berappen. Dafür lebt man unter Seinesgleichen und
verbringt den Tag damit, auf dem Pebble Beach Golfplatz, der bei Insidern als
eine der besten Golfanlagen der Welt gehandelt wird, seine Bälle zu schlagen.
Nur wenige Kilometer südlich des 17 Mile Drive liegt das bezaubernde Städtchen
Carmel mit seinem einladenden weißen Sandstrand. Bei dessen Anblick möchte man
sich am liebsten die Kleider vom Leib reißen und mit ausgebreiteten Armen in
den Pazifik springen. Doch das Wasser ist eisig. Und so stecken die meisten
Besucher lediglich den großen Zeh in die Fluten, bevor sie in einem der Gourmet
Restaurants ein paar Leckerbissen zu sich nehmen oder durch die vielen
Kunstgalerien im Ort schlendern. Carmel strotzt nur so vor Prominenz. Kein
Geringerer als Schauspieler und Regisseur Clint Eastwood persönlich war von
1986 bis 1988 sogar Bürgermeister dieser exklusiven Gemeinde. Auch die aus
Deutschland stammende Hollywoodlegende Doris Day bezeichnet den Küstenort
bereits seit einem halben Jahrhundert als ihre neue Heimat. Man kann es ihr
nicht verdenken. Carmel ist wahrlich ein Juwel.
Diese
Meinung teilte auch Frau Guttel, eine lustige Witwe aus dem Saarland. Nachdem
sie dreißig Jahre lang ihren Urlaub an der Nordsee verbracht hatte, wagte sie
endlich den Sprung über den Atlantik. Kurz vor Ende ihrer Rundreise fand sie
sich an einem der schönsten Strände des amerikanischen Westens wieder.
„Wie auf
Sylt“, rief sie laut, breitete die Arme aus und ließ ihr Chiffontuch im Winde
wehen. „Wie auf Sylt.“
Das war
ihr Leitspruch und den hörte ich mindestens einmal täglich. Egal, wo wir uns
gerade befanden. Ob am Hafen von San Diego oder in der Wüste Arizonas, selbst
am Grand Canyon klatschte sie in die Hände und rief:
„Wie auf
Sylt.“
Leider hatte
ich noch nicht das Vergnügen, die berühmte Nordseeinsel zu besuchen. Darf man
aber den begeisterten Ausrufen von Frau Guttel trauen, handelt es sich um ein
äußerst interessantes und abwechslungsreiches Reiseziel. Nie werde ich den Tag
vergessen, an dem die Dame nach ihrer Ankunft in Los Angeles mit zwei schweren
Koffern in der Hotellobby vor mir stand. Ich war im ersten Augenblick nicht
wirklich sicher, ob es sich bei ihr tatsächlich um ein Menschenkind oder ein
dem Tierpark Hagenbeck entlaufenes Leopardenweibchen handelte. Sie war von Kopf
bis Fuß im Wildkatzenlook gekleidet. Selbst Handtasche und Koffer glänzten im
Leopardenmuster. An ihrem Hals funkelte ein enormer Edelstein. Ich war
geblendet. Nicht nur von ihrem Schmuck, sondern auch von ihrer Persönlichkeit,
die an Schrillheit ihrem Outfit in nichts nachstand.
„Na, junger
Mann, haben Sie in ihrem Bus noch Platz für ein altes Hausmütterchen von der
Saar?“
Ihre Stimme
war ebenso kräftig wie die rote Farbe ihres Lippenstifts.
„Das kann ich
Ihnen erst sagen, wenn Sie mir Ihren Namen verraten“, entgegnete ich und setze
ein Sonntagslächeln auf, um mein stilles Entsetzen zu verbergen.
„Guttel.
Angelika Guttel. Meine Freunde nennen mich „ChaCha“.
Ich hob die
Augenbrauen. ChaCha. Ich glaub‘, ich bin im falschen Film.
„ChaCha“,
sagte sie erneut. „Wie der Tanz.“
„ChaCha habe
ich nicht auf meiner Liste.“
Ich vermied,
sie anzusehen und fuhr mein Passagiermanifest mit dem Finger hinab. „Na, wer
sagt’s denn? Guttel, Angelika. Ich habe Sie gefunden.“
„ChaCha“,
sagte sie wieder.
„Herzlich
Willkommen in Kalifornien, Frau Guttel.“
„ChaCha“.
Diesmal klang ihr Ton fast bedrohlich. „Meine Freunde nennen mich ChaCha.“
Offenbar
gehörte ich ab sofort zu ihren Freunden. Huch. Vor fünf Minuten war mein
Leben noch ganz normal. Jetzt habe ich unversehens eine neue Freundin mit
ausgeprägten Leopardenfetisch, die mich auch noch zwingt, sie ChaCha zu nennen.
„Also gut,
ChaCha“, sagte ich brav und reichte ihr meine Hand zum Gruß. „Ich bin Oliver.
Ihr Reiseleiter.“
„Ach, wie süß.
Ein echter Ollie. Mein Mann hieß auch Ollie. Er ist letzten Monat gestorben.
Gott hab ihn selig.“
Die
Leopardenfrau schien nicht sonderlich traurig über den Verlust ihres Gatten.
Ich hoffte nur, sie würde nicht auf die Idee kommen, mich zu ihrem Ersatz-Ollie
zu ernennen. Als hätte sie
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