Hoppe
genau, wo das liegt!), denn beim Hören der Fuge (unbedingt auf dem Rücken und auf dem Teppich liegend zu hören!) kommt plötzlich alles zurück, mein Vater in seinem Labor, sein Leuchtpuck, mein Lakendreher, Wayne auf dem Eis, die Kunst der Fugen und Pausen, das Glas mit den Zähnen, die Schreie von Walter (Chase that!), die Stimme von Phyllis (rauchend) in der Garage, Lucy, die wütend Bach transponiert, ich neben Quentin am Klavier, Virginias unerträgliche Kopfschmerzen unter dem Bild der heiligen Sister McKillop, die Oper von Sydney, Mime, Alberich und der deutsche Herr Voss, die Schwestern Quast, Bamie Boots, Joeys Cricketschläger und seine hitzigen Schreie, bevor er wieder zum Siegen ansetzt. Und sein Körper, der immer noch neben mir liegt, in einem Zimmer mit Blick auf Kanada (Schiffe, nach vorn raus) und auf das Hamelner Hochzeitshaus (nach hinten raus), im zweiten Obergeschoss bei Helena Ayrton, die besser als jeder andere weiß, wie man am Morgen danach ein Frühstück serviert, ohne den Gast in Verlegenheit zu bringen, während ich Briefe an meine vier Geschwister nach Hameln schreibe, in denen ich immer wieder frage, ob in der Zwischenzeit jemand geheiratet hat.
Gelobt sei Ms Helena Lady Ayrton, die bis heute auf sämtlichen Antworten sitzt. Und verflucht (der fröhliche Umkehrschluss) Melville Drugs und die ganze gottverdammte Kompositionsklasse am
Elder Conservatorium
(Man’s Flesh is delicious)
, meine lächerlichen Versuche, Libretti gegen das Böse zu schreiben und doch noch ein gutes Ende zu finden, indem ich andauernd Hochzeitstorten vertone, sonntags mit Mel zum Tanzen gehe und montags einen Chor dirigiere, aus dem niemals ein ›produktiver Klangkörper‹ (Mel Drugs/fh) wurde, um schließlich eine Wette zu gewinnen, die mir einen Mann (Viktor Seppelt/fh) eingebracht hat, der mich um ein Haar geheiratet hätte und den ich leichtfertig in New York verließ, weil er Cater und Fox nicht erkannte. Und der wurde, was ich niemals werden kann und was auch Glenn nicht geworden ist: Dirigent.
Aber das nehmen wir auf die leichte Schulter. Der eine kann’s, der andere nicht. Noch heute habe ich Mels Spott im Ohr (reine Bosheit), über Glenns Einsamkeit auf der Bühne, über seine Armbäder und Pulswärmer, seine Hypochondrie, seine Sommerangst (Mäntel, Mützen und Schals), seine Angst vor dem anderen rettenden Körper, seine Ausweichliebe zu Hunden, seine Freundschaft mit Fischen, seinen lachhaften Stuhl mit den zu kurzen Beinen, all diese kindischen Scherze und unverständlichen Interviews, seine Vorträge in einem Deutsch, das er selbst nicht verstand (nur Mels Deutsch war noch schlechter!), in das er trotzdem und über die Maßen verliebt war, seine pubertäre Überempfindlichkeit, die nichts, sagte Mel (er lacht), die nichts als die Verachtung des Publikums ist, immer wieder derselbe Text: Ach, sie verstehen mich nicht, sie verstehen mich einfach nicht! Mein Gott, ja, Glenn, sie verstehen dich nicht! Was kann man da machen? Da macht man gar nichts, denn es kommt ja nicht darauf an, verstanden zu werden, sondern bloß darauf, sich verständlich zu machen. Jetzt mal im Ernst. Diese Flucht ins Studio ist doch nichts als Feigheit! Zeigen, rief Mel, man muss sich zeigen! Man muss sich einfach zeigen, um endlich gesehen zu werden! Was denn sonst?
Ja. Was sonst. Er selbst (Mel) wusste natürlich genau, wie das geht, das Zeigen, weil er selber stockdunkel war, so dunkel, dass er sich immer ins Licht stellen musste, um überhaupt gesehen zu werden, weshalb er nicht die geringste Ahnung hatte von der überbelichteten Klugheit des Nordens, die die Dinge in ein ganz anderes Licht taucht, in ein besonderes Licht, das es in Australien nicht gibt, in Schlesien schon gar nicht, und das uns schmerzhaft zu erkennen gibt, dass der Konzertsaal uns, wie jede andere Bühne, immer wieder von vorne foppt. Denn ganz egal, wie lange wir spielend in dieser Welt unterwegs sind, es gibt immer noch keinen Raum für uns, in dem wir uns ehrlich zeigen könnten. Und trotzdem sind wir davon überzeugt, dass wir besser spielen, je älter wir werden, dass wir klüger sprechen, je älter wir sind, weil wir andauernd Alter mit Weisheit verwechseln und glauben, wir hätten tatsächlich etwas zu sagen, nur weil wir schon so lange mit von der Partie sind und weil wir immer noch nicht begriffen haben, dass Dabeisein nicht mal die Hälfte ist.
Denn in Wahrheit ist die Lage ja anders: Nur hier, auf dem Teppich am Telefon, sind
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