Hoppe
alles, was er mir nähte, auf Zuwachs geschneidert. Der Herr braucht keine Bräute, sagte er, er bewirtet jeden, egal, was er trägt. Er sieht nämlich schon auf den ersten Blick, wer nur heiraten will und wer stattdessen auf Reisen geht und sich, vorausschauend, praktischer kleidet.
Als wir die Kirche verließen, drückte er mir einen Kuss auf die Stirn und überreichte mir eine rote Rose. Keine Ahnung, woher er die hatte, sie war taufrisch und schön, wie erst gestern in Hahndorf geschossen, eine langstielige historische Lüge, die gut roch und zwei Wochen lang aufrecht in einer Vase stand, bevor sie langsam, kaum merklich, anfing, den Kopf hängen zu lassen, was nicht mir, sondern nur meiner Mutter auffiel.«
Buch K
, begonnen in einem Heft der Marke
Mead Composition
, ist trotz (oder gerade wegen) seiner poetischen Anteile ein sentimentales Fragment geblieben, weit davon entfernt, auch nur in Ansätzen der angekündigten Biographie über Hoppes Vater nahezukommen. »Hoppe, wir wissen es längst«, schreibt Kai Rost 2010 in seinem aufschlussreichen Aufsatz
Ahistorische Bauchredner/Anmerkungen zur Postpostmoderne
, »kann weder Biographie noch Autobiographie. Alles wird mit einer so komisch wie kindlich anmutenden Radikalität ins Phantastische gezogen, jederzeit flieht sie in die Erzählung, jeder Ansatz zu ernsthafter Selbstbefragung, Grundvoraussetzung der Autobiographie, wird durch Mittel der Selbststilisierung und naiven Beschönigung ersetzt. Eine Neigung, die vor allem dann hervortritt, wenn Hoppe über Eltern und Kindheit schreibt – nichts als ein Märchendrama, in dem die Wirklichkeit nur ein Stilmittel ist. Nicht Selbstbeschreibung ist hier das Ziel, sondern Selbstbehauptung. Der letzte Satz ist und bleibt immer derselbe: Nur, wer nicht gestorben ist, lebt noch heute. Und nur, wer noch lebt (und nicht verschwunden ist), kann von sich sprechen und einen Anspruch auf Wahrheit erheben, wobei es nicht auf die Wahrheit ankommt, sondern darauf, sich beim Erzählen ins rechte Licht zu rücken, ins eigene nämlich. Denn nur wer sich ins eigene Licht rücken kann, darf sich am Ende die Krone aufsetzen. Eine Krone, die Hoppe sich mit Eifer immer wieder selbst aufgesetzt hat. Nicht ›Wie krönt man richtig‹ ist ihre Devise, sondern ›Kröne dich selbst, sonst krönt dich keiner!‹.«
Was auch immer ihr widerfährt, so Rost weiter im Text, »Hoppe ist und bleibt nicht nur eine Meisterin der Selbstkrönung, sondern auch eine Meisterin der Selbsttäuschung durch Selbsttröstung. Gerade sie, die Traditionen und Vorbilder jederzeit rigoros von sich weist, befindet sich damit in einer langen Tradition – eine unverbesserlichere Romantikerin werden wir in der Postmoderne kaum finden. Und doch, und das ist so verfänglich wie schön, so verführerisch wie wissenschaftlich unergiebig, ertappt man sich bei der Lektüre, sie gefalle uns oder gefalle uns nicht, gelegentlich dabei, dass man jene, die das alles erfunden hat und nicht müde wird zu behaupten, sie habe das alles gar nicht erfunden, nichts davon sei auf ihrem Mist gewachsen – immer wieder also wünscht man sich, mit jener merkwürdigen Person in einer jener merkwürdigen Wirtschaften zu sitzen, die es genauso wenig gibt wie das
Wirtshaus im Spessart
,
Grant’s Children
oder das
Red Crab Inn
. Und dann ertappt man sich bei dem weit heftigeren Wunsch, das Buch endlich aus der Hand zu legen, um endlich mal wirklich mit ihr zu reden oder, was noch viel besser wäre, überhaupt nicht zu reden, sondern sie kurzfristig zum Verstummen zu bringen, damit endlich jene Stille eintritt, von der ich seit Jahren träume, so wie ich seit Jahren davon träume, endlich einmal zusammen mit ihr durchs Weserbergland zu wandern, weil ich einfach den Verdacht nicht loswerde, dass sie das Weserbergland überhaupt nicht kennt, jedenfalls weit weniger als ich. (Kai Rost wurde 1965 in Höxter geboren./fh)
Ach, wie gern ich endlich mal mit ihr Deutsch sprechen würde oder, noch lieber, Fahrrad fahren: über diese Hügel und Täler, immer an der Weser entlang, über Bad Karlshafen (Hermann und Dorothea), Höxter (Schloss Corvey), Polle (Heimat von Aschenputtel), Bodenwerder (Baron Münchhausen), Hameln (Mittagessen im
Rattenkrug
) und Porta Westfalica (Kaiser-Wilhelm-Denkmal). Der Raps steht leuchtend hoch, ein Schock in Gelb, und die Hügel sind eigensinnig und schön und viel zu sanft, um eine bedrohliche Landschaft zu bilden. Keine Berge, kein Meer. Kein Eis, keine
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