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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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niemand abnimmt, nicht etwa weil Glenn unerreichbar ist (ich weiß ja genau, dass er da ist), sondern einfach besetzt. Die Nummer ist schon seit Stunden besetzt, vielleicht auch seit Tagen, womöglich seit Wochen und Monaten, aus denen im Handumdrehen Jahre werden, weil der große GG in seinem Arbeitszimmer in Toronto rücklings auf dem Teppich liegt, umzingelt vom Chaos der Stimmungen, von Papieren, Taschentüchern, Tablettenschachteln, Pulswärmern und Schals, eingeschnürt in ein Korsett aus Tonbändern, Partituren und Sommerangst. Obenauf Taktstöcke, Masken, Kostüme, Perücken. Und Rechnungen.
    So finanziert man also die Einsamkeit, mit Telefonrechnungen von
Bell Telephone Canada
, bis zu dreizehntausend Dollar pro Monat, das macht, im Schnitt von damals, drei gut bezahlte Konzerte, um für die große Stille danach aufzukommen, wenn man endlich wieder allein mit sich sein darf und niemand mehr zuhört, obwohl man sich jetzt, mit unerwarteter Heftigkeit, viel heftiger nämlich als im Konzertsaal, nach dem einzigen wahren Zuhörer sehnt, dem einzigen, der verstehen könnte, was hier wirklich gespielt wird und wovon tatsächlich die Rede ist, wenn GG , in der Linken den Hörer, in der Rechten die Partitur, plötzlich anfängt zu singen, auf der Suche nach seiner eigenen Stimme, von der er annehmen muss, dass er sie gar nicht hat, weil er immer nur spielt, was andere schreiben, immer dasselbe von vorn. Bis er sich irgendwann entschlossen erhebt, um endlich eine Fuge zu schreiben. (Vermutlich eine Anspielung auf Glenn Goulds 1963 uraufgeführte Komposition für vier Stimmen und Streichquartett
So you want to write a Fugue?
/fh)
    Na schön, du willst also eine Fuge schreiben. Von mir aus. Aber weißt du überhaupt, wie das geht, was es heißt, eine Fuge zu schreiben? Du weißt doch nicht mal, wer du selber bist. Denn für den ziemlich unwahrscheinlichen Fall, dass die Leitung heute Nacht doch noch frei wird, kann ich mir keinesfalls sicher sein, dass ich erkenne, wer am anderen Ende spricht – ist es Glenn oder, was nachts besonders häufig der Fall ist, nur einer seiner Untermieter, Sir Nigel Twitt-Thornwaite zum Beispiel oder Karlheinz Klopweiser oder Theodore Slutz oder ein gewisser Herbert von Hochmeister (hier bezieht Hoppe sich offenbar auf die wechselnden Rollen und Kostüme, in denen Glenn Gould regelmäßig auftrat/fh), was im Übrigen völlig egal ist, weil sie alle ja nur erfunden sind, was allerdings nichts daran ändert, dass ihre klingenden Namen die so süße wie falsche Hoffnung wecken, man könnte tatsächlich Deutsch mit ihnen sprechen.
    Ach! Wie gern ich mal wieder Deutsch sprechen würde. Denn seit mich mein Vater verlassen hat, komme ich nur noch selten dazu, mit irgendjemandem Deutsch zu sprechen. Nur dass Hochmeister so wenig Deutsch kann wie Glenn, sein Deutsch ist noch um Längen schlechter als meins, nicht nur wegen des starken Akzents, sondern vor allem, was die Grammatik betrifft. Typisches Entführerdeutsch, das mich lebhaft an Hahndorf und Klępsk erinnert, an Schießbuden und Schützenfeste, an deutsche Würste im Ausland und an das Hahndorfer Dirndl, in dem ich eine denkbar schlechte Figur abgebe. Hier seht ihr mich und dort meinen Vater. Jahrelang haben wir tatsächlich geglaubt, wir sprächen Deutsch miteinander, und ich habe jahrelang geglaubt, ich schriebe reinstes und schönstes Deutsch, es sei nichts als Deutsch, womit ich meine Kladden und Hefte fülle, worin ich Bücher schreibe und Geschichten erfinde, obwohl ich längst hätte wissen können, dass es Deutsch gar nicht gibt, dass Deutsch nichts als eine Geheimsprache ist, für Eingeweihte und Verlierer, der Code für meine Erinnerung an all die Zettel und Listen, die ich immer wieder von vorne beschrifte, um nicht zu vergessen, woher ich komme und wer ich einmal gewesen bin.
    Denn in Wahrheit ist Deutsch bloß ein literarischer Trick, ein Extra für Schwärmer, für Verliebte, Verlorene, Romantiker, für die letzten Bewohner eines Zwischenraums, den es bald nicht mehr geben wird, für alle, die keinen Plan haben. Weshalb mein Erfindervater mich aus Deutschland entführt hat, um ein neues Leben mit mir zu beginnen, ein einfaches, praktisches, englisches Leben, von dem er glaubte, es ginge gut aus, bis er sich nicht mehr ganz sicher war, ob er wirklich dafür aufkommen konnte, weshalb er sich aus dem Staub gemacht hat.
    Aber wo immer er steckt, ich werde ihn finden, und wenn ich bis ans Ende der Welt gehen muss (ich weiß

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