Hoppe
ihrem legendären ersten Deutschkurs German 101 , den sie ausschließlich deshalb belegt hatte, um deutsche Opernlibretti besser artikulieren zu können.
»Ihr erster Auftritt«, schreibt BB , »war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Sie betrat den Raum mit einem Rucksack auf dem Rücken, den sie während der gesamten ersten Unterrichtsstunde nicht ablegte (später legte sie diese eigenartige Angewohnheit ab), was sich besonders deshalb seltsam ausnahm, weil sie ein eng anliegendes knielanges schwarzes Kleid und hochhackige schwarze Schuhe trug (wie sich später herausstellte, hatte Hoppe sich, angeblich um sich Respekt zu verschaffen, bewusst feierlich eingekleidet, ihrer geringen Mittel wegen in einem Laden der
Salvation Army
(Heilsarmee), eine Gewohnheit, die sie während ihrer amerikanischen Jahre angenommen hatte/fh) und fest nach hinten gebundene Haare, die ihre Ohren prominent zur Geltung brachten, die sie mit ziemlich geschmacklosen dicken und knallroten Clips behängt hatte, was dem ganzen Auftritt etwas unfreiwillig Clowneskes verlieh. Sie begrüßte uns mit den Worten: Good morning, I am your new German teacher! (Guten Morgen, ich bin Ihre neue Deutschlehrerin!), womit sie in der Klasse Gelächter erntete, was sie offenbar in Verlegenheit brachte. Auf die Frage, warum man lache, erhielt sie die Antwort: All German teachers are older than fifty, wear grey suits and their name is Herman. (Alle Deutschlehrer sind über fünfzig, tragen graue Anzüge und heißen Herman!) Das nahm sie, bei aller Verlegenheit, gelassen und mit Humor.
Es war offenkundig, dass sie nicht zum ersten Mal vor einer Klasse stand, sie wusste genau, wie man eine Gruppe dirigiert, und wusste sich auch entsprechend in Szene zu setzen, wobei sie entwaffnend charmant war. (The most charming person!) Ebenso offenkundig war allerdings, dass sie niemals zuvor Deutsch unterrichtet hatte, was den Unterricht zu einem besonderen Erlebnis machte. Sie unterrichtete sozusagen mit Händen und Füßen, wenn es darum ging, bestimmte grammatikalische Sachverhalte plausibel zu machen. Ich erinnere mich noch genau, wie sie uns die Deklination der Substantive nahezubringen versuchte, indem sie einen Apfel auf den Tisch legte ( DER Apfel: Nominativ) und sich dann neben den Apfel auf den Tisch setzte (ich sitze neben DEM Apfel: Dativ), um ihn schließlich zu verzehren (ich esse DEN Apfel: Akkusativ).
Später ging sie mit Darbietungen solcher Art etwas sparsamer um, der Gestus blieb aber derselbe. Der Sprachunterricht war für sie offenbar eine Art musikalische Veranstaltung, sie die Dirigentin und wir, ihre Studenten, das Orchester. (Tatsächlich teilte sie, wie ihre privaten Klassenbücher zeigen, die einzelnen Studenten verschiedenen Instrumenten und/oder Stimmlagen zu: Jim die Trompete, Bojana erste Geige, Terry am Schlagzeug, Phyllis Mezzosopran und so weiter./fh) Dass Felicitas Musik studiert hatte, erfuhr ich erst viel später. Im Unterricht und in ihren Sprechstunden hielt sie sich mit Auskünften über ihre Person zurück, aber mir war natürlich nicht entgangen, dass sie nicht nur außerordentlich musikalisch war und eine wunderbare Stimme hatte, sondern auch die bemerkenswerte Angewohnheit, die Grammatik insgesamt musikalisch zu klassifizieren, so zum Beispiel, wenn sie behauptete, der Indikativ töne in Dur, der Konjunktiv dagegen in Moll.«
(Die hier von BB gemachte Beobachtung ist nur scheinbar überraschend. Hoppes gesamte Wahrnehmung von Strukturen, Systemen und Regelwerken, war in höchst persönliche, aber nur scheinbar spontan assoziative Felder eingebettet, egal ob es sich dabei um Noten, Buchstaben oder Zahlen bzw. Ziffern handelte. Immer wieder zeigte sie sich verwundert darüber, wenn andere ihr nicht folgen konnten, wenn es darum ging, die Buchstaben von A–Z oder die Ziffern von 0 – 9 Farben und, darüber hinaus, auch noch Geschlechtern zuzuordnen. So ist in Hoppes Kosmos die 0 männlich und grau, die 1 männlich und weiß, die 2 weiblich und rosa, die 3 weiblich und gelb, die 4 männlich und grün, die 5 weiblich und orange, die 6 weiblich und rot, die 7 männlich und blau, die 8 männlich und schwarz und die 9 männlich und braun. An dieser Zuordnung hat sich nachweislich bis heute nichts geändert, sie ist, wie Martha Knit bestätigt, offenbar konstant./fh)
Die Musikstudentin und spätere Dirigentin Bojana Baton, verheiratet mit dem damals noch namhaften französischen Linguisten Jerome Parole, ist vierunddreißig, mit Abstand
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