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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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anderen Worten: zu viel Phantasie.
    Gut möglich, dass sie auf ihrer Schiffsreise unbewusst nachholte, was ihr in New York entgangen war. Die vermeintliche Stubenhockerin hockt keineswegs in ihrer Kabine (die sie mit ihrem Vater teilt), sondern erfreut sich nicht nur bei den Deckmannschaften, sondern auch bei den Offizieren und beim Kapitän überraschend großer Beliebtheit. Der Kapitän der
MS Queen Adelheid
(»wir sind schon auf schöneren Schiffen gereist, aber nie auf einem mit schönerem Namen«, so Felicitas) nimmt sie innerhalb kürzester Zeit unter seine Fittiche und bringt ihr alles bei, »was man über die Seefahrt wissen muss und was man wissen muss, um Wayne zu vergessen«, schreibt Felicitas in einem weiteren Brief an ihre Geschwister. Und im vertrauten Ton des Hoppe’schen Pathos fährt sie fort: »Er ist der beste und größte Kapitän von allen, auch wenn ihm der passende Name fehlt.« (Der Kapitän der
Adelheid
hieß John Small./fh) »Aber was«, ergänzt Felicitas wenig später gönnerhaft, »sind schon Namen!«
     
    Tatsache ist, dass Felicitas im November 1974 auf der
Adelheid
die einzige Frau an Bord war, eine Tatsache, der sie sich nur zum Teil bewusst war. Ihre, wie es scheint, eher linkisch, gelegentlich fast trotzig vorgetragene Leidenschaft für Wayne und die behauptete Verlobung mit der großen Liebe ihrer Kindheit spiegeln vor allem die Naivität einer (ansonsten überaus intelligenten) Spätentwicklerin wider. Sie war so unterhaltsam wie unerfahren, dabei auf den ersten Blick wenig attraktiv, ein Mädchen, das sich weder zu kleiden noch zu frisieren wusste und das, sosehr sie darunter vielleicht gelegentlich litt, immer noch klaglos die Rucksäcke ihres Vaters trug.
    Trotzdem (oder gerade deshalb) erobert sie die
Adelheid
im Sturm, und das nicht nur, weil sie schon früh auf dem Eis den eher kumpelhaften Umgang mit Männern gelernt hat, sondern vor allem deshalb, weil sie Geschichten erfindet. Bereits hier zeigt sich ein weiterer entscheidender Grundzug ihres Wesens, jene Eigenschaft, die in so krassem Gegensatz zu ihren ständigen Fluchtbewegungen stand: »Sie konnte eben schon damals sämtliche Sprachen«, so zwanzig Jahre später ein Kommentar der Berliner Schriftstellerin Jutta Raulwing, mit der Hoppe eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.
    Das ist so freundlich übertrieben wie faktisch falsch, trifft aber einen für Hoppe typischen Wesenszug. Hoppe, deren Werk ein ständiges Misstrauensvotum an jede Form von Kommunikation ist (»Hörst du mir überhaupt zu?«), war nicht nur in ihrem privaten Briefverkehr, sondern auch im wirklichen Leben eine so meisterhafte wie nachgerade manische Kommunikatorin, wobei sich lange darüber spekulieren lässt (und reichlich ist auch darüber spekuliert worden), was sie zu dieser Form von Kommunikation antrieb.
    War der Motor tatsächlich ihre von BB immer wieder ins Feld geführte Prahlhanserei, ihr gesteigerter Geltungsdrang also, Folge dessen, dass sie sich von ihrem Vater vernachlässigt fühlte, oder war sie womöglich schlicht und einfach ihrem Wesen nach zugewandt, wie Martha Knit mit Nachdruck behauptet: »Das erste Schuljahr verbrachte sie in einem seltsamen Schweigen, was vielleicht einfach an ihrem Englisch lag, das damals noch nicht besonders gut war und wofür sie sich offensichtlich schämte, obwohl sie rasante Fortschritte machte. Aber bereits im zweiten Jahr ging sie unvermutet zum Angriff über. Ja, tatsächlich, es war, als hätte sie von einem Tag auf den anderen eine Art inneren Hebel umgelegt, auf einmal fing sie an zu sprechen und hörte nie wieder auf. Auf ihre Mitschüler machte das Eindruck, der Rucksack war natürlich längst vergessen, ruck, zuck stieg sie zur Klassensprecherin auf, ein Amt, das sie liebte und bis zum Schluss nicht abgegeben hat. Nicht, dass irgendjemand ihr das streitig machen wollte, dazu war sie einfach viel zu gut in der Rolle, war schlagfertig, rhetorisch ganz ungewöhnlich für ein Kind, ziemlich konkurrenzlos. Nicht nur, weil sie so sprachbegabt war (wenige Jahre später spricht und schreibt Felicitas ebenso fließend Französisch wie Englisch/fh), sie redete ja praktisch in allen Zungen, sondern weil sie, wenn es wirklich drauf ankam, mit Händen und Füßen sprach.«
    Denn mit Händen und Füßen mussten auch jene Kinder sprechen, die der Rattenfänger nicht mitnehmen wollte und deren Geschichte in Felicitas’ Bewusstsein längst eine feste Verbindung mit jener anderen Geschichte von

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