Hoppe
gelb) in die Luft, die Grushenko lässig mit links auffing, und einen Moment lang glaubte ich, ich würde ihn niemals wiedersehen. Aber zwei Tage später kam er zurück, fröhlich schwankend, sehr betrunken und mit Blüten im Ohr, und erzählte mir, dass er nicht abreisen wolle, denn hier gäbe es keine Jahreszeiten und auch keinen Friedhof, woraus er zu seinen Gunsten schloss, dass wenigstens hier die Menschen unsterblich seien, ewige Jugend, ewige Schönheit. Ich war nicht an Land, aber ich weiß ganz genau, woran er im letzten Moment gedacht hat, bevor er langsam und lächelnd ins Knie ging, um sich der Länge nach aufs Deck zu legen und in einen ewigen Schlaf zu fallen, aus dem er erst wieder erwachte, als sich in der Ferne der erste Streifen der australischen Küste zeigte.«
(Ich hasse Tahiti)
Am Vorabend des 22 . Dezember erreichte das Frachtschiff
Queen Adelheid
, segelnd unter englischer Flagge und unter dem Befehl von Kapitän Bartholomew Jonathan Small, nach Plan und »ohne besondere Vorkommnisse verzeichnet zu haben« gegen 7.30 p.m. örtlicher Zeit bei einer Temperatur von ca. 28 ° Celsius Port Adelaide, den Hafen der Hauptstadt des Bundesstaates South Australia in Australien, die (Felicitas hatte sich in der Schiffsbibliothek kundig gemacht) ihren Siedlern bereits im November 1838 Religionsfreiheit versprochen hatte, weshalb Felicitas es sich nicht nehmen ließ, beim Abschied an Deck einen Adventskranz (»niemand wusste, woher sie den hatte«) mit vier brennenden Kerzen auf dem Kopf zu tragen (»Man soll schließlich sehen, dass ich komme!«), die der Wind und die reine Körperbewegung allerdings schon beim ersten Schritt auslöschten, was sie nicht daran hinderte, im Anblick des Hafens in der Ferne die folgende Abschiedsrede zu halten, die uns nur deshalb überliefert ist, weil Kapitän Small sie mitstenographierte. Der folgende Auszug sei hier unter Vorbehalt zitiert:
»Hochverehrte Queen Adelheid, Kapitäne, Offiziere, Matrosen, Seefahrer und Freunde! Der Abschied wird mir das Herz zerreißen, auch wenn mir heute beim letzten Frühstück mein Vater erklärt hat, dass so ein Herz schnell wieder zusammenwächst, ein reines Wunder der Anatomie. Hoffen wir, dass er recht behält. Sollte ich euch trotzdem vermissen, so will ich, das habt ihr mir beigebracht und ich habe meine Lektion gelernt, kein einziges Wort darüber verlieren. Trotzdem frage ich euch: Wie kommt es, dass sich nichts in der Ferne verliert, sondern alles für immer hängenbleibt? Das muss die Kraft der Erinnerung sein, die größer als jeder Ozean ist und in der, wie wir es drehen und wenden, für alles und jeden ein Platz reserviert ist (an dieser Stelle, so Small, heftige Gesten vonseiten der Vorträgerin wie auch vonseiten der Mannschaft), den nie ein anderer einnehmen kann. Lasst es mich so sagen: Wir sind zusammen gefahren, haben zusammen gegessen, zusammen gespielt (Sturmreihe die einen, Verteidigungsreihe die anderen), zusammen geschlafen und zusammen dem Meer ins Auge geblickt und in allen Sprachen gesprochen.
Aber was sind schon Sprachen – der eine spricht, der andere lacht, der Dritte wirft Karten zwischen die Würfel, und der Vierte steht auf und legt sich ins Bett. Ich kann euch weder die Sterne erklären (an dieser Stelle, so Small, scharrende Füße und Augenkontakt mit einem polnischen Matrosen) noch Kränze versprechen (lautes Gelächter und Fingerzeige auf Hoppes Adventskranz), weil ich euch nichts versprechen kann, außer, dass ich nicht wiederkomme und euch nie wieder fragen werde, ob Dampier eine französische Großmutter hatte (Gelächter) und wie viele Narben Sawchuk trug. Aber, verzeiht mir zum Abschied die Offenheit, eine echte Mannschaft wird aus euch nie werden, dazu seid ihr viel zu flüchtig, viel zu zerstreut, viel zu sehr mit euch selbst beschäftigt. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass sich das eines Tages ändert (hier riss sie, berichtet Kramer, unvermutet beide Arme nach oben, genau wie damals in der Messe, als sie erfolglos versuchte, ein Team zu bilden), und zum Zeichen dafür, dass ich an euch glaube, will ich euch etwas hinterlassen, das euch für immer an mich erinnert, macht damit, was ihr wollt!«
»An genau dieser Stelle«, so Smalls Mitschrift, »hielt sie inne, warf beide Arme wieder nach unten (der Adventskranz rutschte gefährlich auf die Seite, blieb aber über dem linken Ohr sitzen) und zog unvermittelt ihren Puck aus der Tasche, hielt ihn sekundenlang gegen den Mond
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