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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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Frauen mit Thermoskannen und Schnitten? Hat mein Entführervater alle Spuren verwischt, oder ist es mein eigener Mangel an Unternehmungsgeist, der niemanden zwingt, endlich aufzubrechen, um sich nach mir auf die Suche zu machen? Man entdeckt ja nur den, der selber etwas entdecken will, um am Ende als verschollen zu gelten, damit er seinerseits wieder entdeckt werden kann. Man muss nicht berühmt SEIN , man muss nur berühmt WERDEN WOLLEN , um auf der großen Vermisstenskala eine Chance zu haben. (Das hat mich schon Walter im Eisring gelehrt, Bamie wusste es auch, und Lucy erst recht./Im Manuskript gestrichen./fh) Es sei denn, man wird, egal was man tut, egal was man lässt, von oben beschützt und von unten geliebt.
    Nur dann kann Wirklichkeit werden, wovon ich träume, dass sich eines Tages endlich einer erhebt, der sich aufmacht über den Ozean, um zu sehen, wo ich geblieben bin, um durch die Straßen einer fremden Stadt zu gehen (sie könnte Adelaide heißen), um an alle Türen und Fenster zu klopfen und immer wieder nach mir zu fragen. Zuerst wird es heißen: Kennen wir nicht, wer soll das sein, nie gehört, nie gesehen. Dann aber wird es, je nach Hartnäckigkeit, heißen: Gesehen zwar nicht, aber schon mal gehört, jemand hat gestern von ihr gesprochen, kann bei den Nachbarn gewesen sein. Und dann wird es wider Erwarten heißen: Neulich auf der Straße gesehen, gleich nebenan vor der kleinen Pension bei
Grant’s Kindern
. Und dort schließlich wird man freundlich sagen (denn die Dame am Empfang weiß, wie man mit Gästen umgehen muss): Ja, sie ist wirklich hier gewesen, hat hier gewohnt, gegessen, geschlafen, zwei Wochen lang jeden Morgen dasselbe, immer zwei Eier (weich gekocht) und zwei Scheiben Toast, mit Butter die eine, mit Marmelade die andere. Dazu hat sie Kaffee getrunken, mit viel Milch. Aber niemals mit Zucker.
    Heute früh aber, fährt die Dame fort (eine gewisse Helena Ayrton, besser bekannt als die schöne Helena, obwohl sie schon in den Vierzigern ist), ist sie aufgebrochen, den Rucksack auf dem Rücken, ein karierter Rucksack, keine Ahnung, was drin war. Und hat keine Nachricht hinterlassen, nicht für mich, auch nicht für ihren Vater, wie ich später beim Aufräumen sah. Nichts auf dem Tisch, kein Zettel, kein Brief. Was mir seltsam vorkam, nicht ihre Art. Seit zwei Wochen teilen sie sich ein Zimmer, Vater und Tochter. Keine Klagen, kein Streit. Nach dem Frühstück verlässt der Vater das Haus, die Tochter geht zurück nach oben. Wenn ich später zum Aufräumen komme, nimmt sie Stift und Papier und geht wieder nach unten, um im Frühstücksraum weiter zu schreiben. Das Haus hat sie eigentlich nie verlassen und das Zimmer auch nur aus Höflichkeit, weil sie mir nicht im Weg sein wollte, wenn ich Betten mache und Handtücher wechsele.
    Überhaupt war sie höflich, gut erzogen. Und schweigsam. Natürlich habe ich ein paarmal versucht, sie in ein Gespräch zu verwickeln, viel war dabei nicht herauszuholen, obwohl ich die Sache behutsam anging (ich horche meine Gäste nicht aus), ich fragte nur, wie die Reise war, die Gesellschaft, das Essen, das Wetter. Acht Wochen auf See, wie mir der Vater erzählte, sind schließlich keine Kleinigkeit. Aber sie hat nur gelacht: Ein Schiff ist ein Schiff, auf dem Meer gibt es keine Neuigkeiten.
    Wenn das alles ist, wird der Besucher sagen (Enttäuschung malt sich auf seinem Gesicht), was mache ich jetzt? Denn er ist nicht gekommen, um Adelaide oder die schöne Helena oder Kapitän Grant und seine Kinder zu sehen, sondern MICH . Was also jetzt? Dabei fährt er sich müde über die Stirn, eine hohe europäische Stirn, unter der viel gedacht wird, wie die schöne Helena gleich erkennt, sie kennt sich mit Gästen aus. Jetzt, sagt Lady H., legen Sie erst mal ab, waschen sich die Hände und ruhen sich aus, während ich Ihnen Kaffee mache, und warten, bis der Vater zurückkommt, der kommt gegen sieben und hilft Ihnen weiter. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen die Zimmer, bleiben Sie einfach eine Nacht, morgen ist ein anderer Tag, frisch rasiert sieht man weiter.
    Der Gast, jung und blauäugig unter der Stirn, legt ab, stellt den Koffer neben den Tresen (ein kleiner Koffer), lässt sich Kaffee bringen, schaut auf die Uhr ( 4 p.m.), wird müde, lässt sich die Zimmer zeigen und mietet ein Zimmer nach vorn raus, Hafenblick, dritter Stock. Während er das Formular ausfüllt, blättert die schöne Helena in seinem Pass und errötet: Sie kommen also wirklich aus Deutschland?

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