Hoppe
Typisierungen selten hinauskommt. Vor allem dann, als die schöne Helena unvermittelt einen Stapel von »Schicksalskarten« aus der Tasche zieht und auf dem Tisch auslegt und kein Hehl daraus macht, dass das alles natürlich nichts als »der reinste Humbug« sei, ein »an der Seefahrt erprobter Spaß«, weil die meisten, die bei
Grant’s
absteigen, nun mal abergläubische Seeleute seien.
Spätestens als Floater »taumelnd treppauf« die Szene verlässt und der blauäugige Deutsche in seiner Ecke erwacht und, »weil auch er nicht mehr ganz nüchtern war«, plötzlich beginnt, Madame und Monsieur Paganel von seiner Heimatstadt Hameln zu erzählen, die im Herzen des Weserberglands liege und die nicht anders als lieben könne, wer in Hochzeiten reist, bekommt die Geschichte eine neue Dimension: »Denn die Glocken am Hamelner Hochzeitshaus«, sagt der Deutsche, »sind besondere Glocken. Wer sie einmal gehört hat, kann ihren Klang nie wieder vergessen und mit dem Klang auch den nicht, der ihm für immer angetraut ist, er bleibt auf ewig gebunden, egal, ob er lieben kann oder nicht.« Worauf die schöne Helena die Karten neu mischt. »Trunken«, so Hoppes Erzählung weiter, greift der Deutsche in den Stapel abgegriffener Karten und zieht, was sonst, die Sehnsuchtskarte, worauf Helena, weil sie niemals trinkt, entschlossen die nächtliche Tafel aufhebt und ihre Gäste »wie Seeleute in die Betten schickt«, denn »morgen ist schließlich auch noch ein Tag, dann sehen wir weiter«.
»Am Morgen danach«, so der Hoppetext weiter, »wusste die schöne Helena so gut wie alles über den Deutschen: wie schlecht er schlief, dass er im Halbschlaf die Namen meiner Geschwister aufsagte und dass er, obwohl sein Pass nichts verriet, tatsächlich mein großer Bruder war, nicht gekommen, um mich zu suchen, sondern um mich zu finden und für immer nach Hameln zurückzuholen. Damit hatte natürlich niemand gerechnet, am wenigsten ich. Weshalb mein Bruder am nächsten Morgen verloren im Frühstücksraum saß und vergeblich darauf wartete, dass ich die Treppe herunterkäme, um ihm stürmisch in die Arme zu laufen und ihn endlich, von Angesicht zu Angesicht, zu fragen, wie es unseren Schwestern geht und unserem kleinen Bruder. Ob meine Mutter immer noch Sahne schlägt und ob mein Vater immer noch wagt zu behaupten, dass es das Krokodil gar nicht gibt. Und ob sich das
Miramare
immer noch, spätestens im September, in einen Ausstellungsraum für Pelze verwandelt, wenn die Italiener kurzfristig nach Süden verschwinden.
Aber ich war längst auf und davon, mein Vater hatte die Rechnung bezahlt, und mein Bruder befand sich im Elend, in einer Stadt, die ihm so fremd war wie mir und den anderen Gästen. Madame Paganel hatte Kopfschmerzen und Monsieur Paganel schlechte Laune, die mit Dick Floater zusammenhing, der überhaupt nicht zum Frühstück erschien, sondern sich erst am Nachmittag zeigte und wortlos ein riesiges Sandwich verschlang, während mein Bruder durch Adelaide spazierte und beide Augen offenhielt, aber er konnte mich nirgends entdecken. Am Abend kam er erschöpft zurück, um sich von Helena trösten zu lassen, die lauter schöne Geschichten erfand, die alle mit der Verheißung schlossen, er müsse nur zwei Tage länger bleiben, dann würde er mich bestimmt erwischen, weil ich alle zwei Tage zu
Grant’s Children
zurückkam, um nach neu eingegangener Post zu fragen.
Sie ist nämlich verrückt nach Post, sagte Ms Ayrton, weil sie selber wie eine Verrückte schreibt, kein Tag, an dem kein Brief verschickt wird oder wenigstens eine Karte. Und alles nach Übersee, die eine Hälfte nach Kanada, die andere nach Hameln. Kein Tag, ohne dass sie nach Antwort fragt. Immer dasselbe Spiel, lauter Fragen und keine Antwort. Um ihrer Rede Nachdruck zu verleihen, zog Ms Ayrton eine Schublade unter dem Tresen auf und präsentierte meinem Bruder zwei große Briefmarkenbögen. Nur für Felicitas, sagte Ms Ayrton, außer ihr schreibt nämlich niemand, wenn sie nicht wiederkommt, bleibe ich auf den Briefmarken sitzen. Aber, da können Sie sicher sein, sie kommt wieder, alles nur eine Frage der Zeit, der Geduld. Worauf mein Bruder sich zu Helenas Freude für drei weitere Nächte eintrug, bevor er sich wieder auf den Weg in die Stadt machte und hier und da klopfte, um immer dieselbe Antwort zu hören: Kennen wir nicht, nie gehört, nie gesehen.«
Überflüssig zu erwähnen, dass die Suche des Bruders erfolglos bleibt. Am Neujahrstag reist er, sehr zum
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