Hoppe
wahrscheinlich wollte sie wettmachen, dass sie keinen Führerschein hatte, oder sie wollte mich einfach unterhalten, was mich irgendwie rührte.
Um ehrlich zu sein, Literatur hat mich nie ernsthaft interessiert, ich liebe Musik, sonst nichts. Alles, was ich gelesen habe, hat mir Felicitas vorgelesen, ganze Schiffsbibliotheken. Sogar bei Dunkelheit las sie laut vor, in der Linken das Buch, in der Rechten die Taschenlampe. Wobei ich mich bis heute des Verdachts nicht erwehren kann, dass sie, was in den Büchern stand, so wenig interessierte wie das, was draußen vorging. Die schöne Landschaft der Literatur war ihr vermutlich genauso egal wie die Landschaft da draußen, von der sie andauernd sprach, ohne jemals aus dem Fenster zu sehen.
Was auch immer wir taten und sahen und lasen, alles war Teil einer großen Bewegung, von der ich bis heute nicht weiß, worauf sie zielte, falls es überhaupt jemals um ein Ziel ging. Hauptsache, du schläfst nicht ein, sagte sie und las weiter, nur schneller und lauter, wie um mich anzutreiben, Hauptsache, wir kommen voran. Sie selbst war wie geschaffen dafür, voranzukommen, schließlich hatte sie nicht nur das absolute Gehör, sie war auch völlig schwindelfrei, niemals seekrank, kein Gedanke an Übelkeit, egal, wie das Gelände beschaffen war. Eine beneidenswerte Konstitution. Ihr Asthma hielt ich für reine Erfindung, kein Gedanke daran, dass hier jemand neben mir saß, dem jemals die Luft hätte ausgehen können.
In Eden Valley verbrachten wir unsere erste Nacht, in der Pension
Golden Grapes
(Hier irrt Viktor Seppelt. Er und Felicitas logierten an jenem Abend nachweislich nicht in der
Goldenen Traube
, sondern im
Frühen Vogel/Early Bird
./fh), wo mir Felicitas, anstatt einfach mit mir zu schlafen, erzählte, wie sehr sie in Onkel Benno verliebt sei, mehr in den Regenschirm als in die Geige, von seinen sechzehn Kindern zu schweigen. Sie hatte eiskalte Füße, schweißnasse Hände und redete unaufhörlich, wie immer, wenn sie in Verlegenheit war. Sie war übrigens oft in Verlegenheit, was mit Geld, wie meine Mutter später gern behauptete, nichts zu tun hatte. Geld war kein Thema, sie war nie auf Geld aus. Obwohl sie nie welches hatte, war sie nie in Not, dazu war sie viel zu erfinderisch, irgendwas fiel ihr immer ein, das hat sie nicht nur in Adelaide, sondern noch Jahre später bewiesen. Vor allem war sie in die Idee verliebt, große Kunst mit dem großen Geschäft zu verbinden, sie liebte sogenannte Geschäftsideen, wobei der Schwerpunkt auf den Ideen lag.
Unsere zweite Nacht (von Sonntag auf Montag) verbrachten wir rauchend und Wein trinkend in Mount Pleasant, im Haus meiner Eltern, die auf irgendeiner Geschäftsreise oder Weinprobe waren. Wir standen mit halbvollen Gläsern am Fenster, Blick ins Tal oder auf die Berge, als Felicitas unvermittelt sagte: Wetten, dass Mel DICH in die Klasse aufnimmt? Warum soll er mich nehmen, sagte ich, der steht doch auf Frauen. Der steht nicht auf Frauen, sagte Felicitas, der steht auf die Königin, wetten also, dass DU genommen wirst! Die Wette gilt, sagte ich und nahm ihre Hand: Nimmt er dich, bin ich frei, nimmt er mich, dann heiraten wir. Sie war zweiundzwanzig, ich ein Jahr älter, nicht verliebt, nur betrunken. Aber ich mochte sie, weil sie verstockt war, weil sie Locken und Sportsgeist hatte. Sportsgeist, was ist das? Geist, sagte ich, ist, wenn du jetzt einfach den Mund hältst, und Sport ist, wenn du die Schuhe ausziehst und endlich zu mir unter die Decke kommst. Alles andere interessierte mich nicht.«
Hier das Foto dazu. (Offensichtlich mit Selbstauslöser: Die verwettete Braut hält mit der ausgestreckten Rechten aufdringlich strahlend ein Glas in die Kamera, während links neben ihr Viktor Seppelt kniet: mager, ungeordnete Frisur, scharf geschnittene Nase, einen riesigen Blumenstrauß in den Händen, den er Felicitas pathetisch entgegenstreckt./fh)
»Keine Ahnung, wo der Blumenstrauß herkam, ich glaube, mein Vater hatte ihn meiner Mutter geschenkt, an den Anlass kann ich mich nicht mehr erinnern. Zwei Tage später waren wir wieder nüchtern, ich bekam den Platz in der Dirigentenklasse, und Felicitas hatte die Wette gewonnen. Nur dass wir nicht wussten, wie Heiraten geht, wir sind doch bloß Amateure, sagte Felicitas. Feiern wollte sie trotzdem. Ich weiß noch genau, wie wir am Abend nach der Aufnahmeprüfung einfach abhauten und zu Fuß nach Port Adelaide gingen. Die schöne Helena kannte ich nur aus ihren Geschichten, ich
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