Hoppe
bis drei Töne, streicht zweimal rauf, viermal runter, trägt Taktstock und Stimmgabel mit sich im Rucksack herum, obenauf womöglich drei schlechte Libretti, irgendeine wiederentdeckte Partitur, faselt irgendwas von Kunst und Können und Avantgarde (ja, damit kommen sie immer noch, ob man’s glaubt oder nicht!), und schon meint er, er könne Staat damit machen. Da muss man natürlich entschieden sein.«
Während ein so schüchterner wie arroganter und ambitioniert frisierter Praktikant Kaffee und Kekse serviert, referiert Lucy entschieden und leidenschaftlich die Geschichte der Agentur, deren Gründung, wie sie betont, durchaus nicht zufällig mit dem allzu frühen Tod des Pianisten Glenn Gould im Jahr 1982 zusammenfalle, der eine empfindliche Zäsur in ihrem Leben darstelle. Nicht zuletzt deshalb, weil sie selbst (ihre kanadischen Jahre) noch in die große Schule von Flora Gould gegangen sei und sich Glenn Goulds großes Abschiedskonzert (Los Angeles, 1964 /fh) damals »förmlich vom Mund abgespart« habe, ein Erlebnis, das sie bis heute präge und das für sie eine Art »künstlerische Offenbarung« gewesen sei. »Sie werden also«, schließt Lucy, »sofort verstehen, dass wir, auch wenn wir Innovationen und Experimenten selbstverständlich nicht abgeneigt sind – prüfe alles und behalte das Gute, sage ja schon die Bibel –, nicht Hinz und Kunz vertreten können, wie die Deutschen sagen, sondern, wie gesagt, nur die Besten der Besten.«
Der Nachmittag findet sein Ende schließlich damit, dass Lucy Bell uns durch den Kaffee- und Kekspraktikanten bestätigen lässt, dass eine Person namens Hoppe in der Agentur
Cater & Partners
nie geführt worden sei, von Vertragsabschlüssen ganz zu schweigen. Hoppes New Yorker Spur verliert sich in einem Zweibettzimmer mit Hafenblick in Brooklyn, in dem sich, den Aufzeichnungen Seppelts zufolge, Viktor und Felicitas am Valentinstag ( 14 . 2 . 1984 ) trennten, »ohne jemals ein Paar gewesen zu sein«.
Am Morgen des 15.2 . fliegt Viktor allein von New York nach Sydney und von dort aus weiter nach Adelaide, um in die Dirigentenklasse des
Elder Conservatorium
von Melville Drugs zurückzukehren und in den folgenden Jahren eine nicht unbedeutende Karriere als Orchesterleiter und Komponist anzutreten. Bereits zwei Jahre später avanciert er auf dem berühmten
Adelaide Music Festival
zum Assistent Director in der Uraufführung der berühmten Oper
Voss
(nach dem gleichnamigen Roman des Nobelpreisträgers Patrick White, Musik: Richard Meale, Libretto: David Malouf), in der es um nicht mehr und nicht weniger als um die Vertonung des Schicksals des Deutschen Ludwig Leichhardt geht (vgl.Kap. 3 und Hoppes
Buch L
).
In einem Interview mit der
Adelaide Post
auf die Frage nach seinem Verhältnis zum Werk befragt, drückt Seppelt sein Bedauern darüber aus, dass er der deutschen Sprache nach wie vor »nur im Halbschlaf« mächtig sei, denn, »die Tatsache, dass wir es hier mit einem historischen Stoff zu tun haben, der zwar in Australien angesiedelt und von einem australischen Autor umgesetzt worden ist, ändert nichts daran, dass wir in der Figur des Deutschen Voss (gemeint ist die fiktive Verkörperung des historischen Ludwig Leichhardt/fh), einem, wie ich behaupte, typisch deutschen Entdeckerschicksal des 19 . Jahrhunderts begegnen. Was ist es, das Leichhardt (der in Deutschland bis heute trotz zahlreicher nach ihm benannter Straßen, Gebäude und Plätze so gut wie unbekannt geblieben ist/fh) zu einem Faszinosum macht? Allem voran wahrscheinlich die Tatsache, dass er für uns immer noch alle Klischees verkörpert, die wir, zu Recht oder Unrecht, von den Deutschen mit uns herumtragen: Er ist so kenntnisreich wie ignorant, so verstockt wie weitsichtig, ausdauernd und gnadenlos, kühn und kleinlich, so gewissenhaft wie selbstverloren, so mystisch wie selbstherrlich, in anderen Worten, ein Mann, der so gut wie alles kann, nur nicht den geringsten Sinn für Gesellschaft hat. Er kann nicht tanzen, nicht trinken, nicht lieben, von seiner abgrundtiefen Humorlosigkeit ganz zu schweigen. Keine Umgangsformen, keine Hobbys, kein Smalltalk, in jeder Hinsicht unelegant, nie unterhaltend, schon gar nicht vergnüglich. Sein Blick ist auf das Nichts wie das Höchste gerichtet, geht immer über die Menschen hinaus. Mit anderen Worten, hier haben wir einen, der Ruhm mit Selbstvernichtung verwechselt, weil er immer über das Spielfeld hinausdenkt und nicht begreift, was es heißt, sich an Regeln
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