Hoppe
Themas zusammensetzt. Dabei geht es, wie bereits Yasmine Brückner gezeigt hat (vgl. dazu Yasmine Brückner:
Wir sind, was wir spielen
), um einen permanenten Rollentausch nicht nur zwischen Müttern und Vätern (die abwechselnd mal die Guten und mal die Bösen sind), sondern ebenso zwischen Eltern und Kindern, die einander permanent abhandenkommen und doch immer wieder auf der Suche nacheinander sind. In
Am Saum
verlässt eine Mutter (Maria Siedlatzek?) Mann und Kinder, um sich mit einem Regierungsrat aus dem Staub zu machen, in
Die Pilger
macht sich ein Vater zusammen mit seiner Tochter (seinem Sohn?) auf die Suche nach der Mutter seines Kindes, die er zuvor (höchst brutal) aus seinem eigenen Haus verwiesen hat, und in der Geschichte
Die Hecke
sind es drei von ihren Eltern verlassene Kinder, die versuchen, das Haus ihrer Eltern zu verkaufen, von dem sie sich in Wahrheit aber nicht trennen können.
Hoppes angeblich so »altmodische Schnitzeljagden im Gewand dürftiger postpsychoanalytischer Spielereien« (Reimar Strat) sind in Wahrheit literarische Verarbeitungen globaler Wanderschaften, die sie im Erzählen der Einfachheit halber (wie auffallend begrenzt Hoppes erzählerische Mittel sind, hat schon Kai Rost bemerkt) auf höchst provinzielle Szenarien zusammenschrumpft, was nichts daran ändert, dass, egal in welchem geographischen Maßstab, Thema und persönliche Sehnsucht immer wieder markant in eins fallen und in den Wunsch nach einem projektierten Heimatort münden, der in Hoppes »verzweifelt ortloser Prosa« (Kai Rost) zum religiös überhöhten »Echternachzimmer« wird, das die Wirtin (Frau Conzemius) für ihre bevorzugten Besucher »in alle Ewigkeit« reserviert hat. Hoppes »Wahlmütter« (Kai Rost), Phyllis Gretzky und Lady Ayrton, werden, genau wie ihre Wahlväter Kramer und Small (auf der
Queen Adelheid
) und Quentin Blyton in den Jahren in Adelaide, zu Platzhaltern von Positionen, die in Hoppes realem Leben nicht besetzt waren. Sie sind alles zugleich: Mütter, Väter, Geschwister und Großeltern, wobei den Großeltern, die Hoppe nie hatte (sie kannte weder ihre leiblichen Großeltern väterlicher- noch mütterlicherseits persönlich), in ihren Texten eine ganz besondere Rolle zukommt, der allwissenden Großmutter in der Titelgeschichte (
Picknick der Friseure
) ebenso wie dem Großvater (
Hochgewachsene Männer
), einem Schneider, »der mich in die Welt der Stoffe einführte. Er ließ meine Hand über die verschiedenfarbigen Ballen gleiten und mich das Material zwischen Daumen und Zeigefinger prüfen. Seither weiß ich, woran ich bin, wenn mir ein Mann in die Finger kommt.«
Schneider haben Hoppe nicht nur wegen ihrer »infantilen Märchenleidenschaft« (Strat) dauerhaft begleitet, sondern sind de facto Teil ihrer familiären Lebensgeschichte. Auch wenn ihr Entführervater Karl allem Anschein nach nur selten als Erzählervater aufgetreten sein dürfte, können wir davon ausgehen, dass er Felicitas seine Herkunft als Sohn schlesischer Schneidermeister nicht verschwieg, nicht zuletzt deshalb, weil er das Handwerk selbst beherrschte, wie (laut Martha Knit) die Kleider, Mäntel und Rucksäcke demonstrieren, die er für Felicitas anfertigte. Neben der bereits erwähnten Geschichte
Hochgewachsene Männer
, die neben dem Lob der Uniform (»früher liebte ich fest in ihre Uniformen eingenähte Männer«) einer Hommage an den unbekannten Großvater gleichkommt, gibt eine weitere Geschichte (
Die Tochter der Tochter des Schneiders
, 2007 ) überdeutlich Auskunft darüber, welche Bedeutung Hoppe nicht nur in ästhetischer, sondern in nachgerade weltanschaulicher Hinsicht dem Schneiderhandwerk beimisst: »Ich fühle noch genau, wie mein Großvater nach meinem Ärmel greift, den Stoff zwischen zwei Fingern reibt und lachend sagt: Taugt nichts! Um zu diesem Urteil zu kommen, hätte mein Großvater, der Schneider, den Stoff gar nicht anfassen müssen, er hatte längst gesehen, was es damit auf sich hatte. Er erfasste jeden Stoff von weitem, mit bloßem Auge, auf den ersten Blick. Und nicht nur den Stoff, sondern auch den ganzen Rest, alles, was darunter steckt – die gesamte Statur, die komplette Verfassung. Unter dem Blick meines Großvaters fielen Knöpfe von selbst ab, dürftige Nähte platzten auf, ohne dass er sie auch nur angefasst hätte. Mein Großvater, der Schneidermeister, war ganz Auge, seine Meisterschaft war nahezu vollkommen, faszinierend und schrecklich zugleich.«
Schrecken und Faszination
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